Dekorateurin von Krimilandschaften

vom Krimiblogger

wo_licht_und_schatten_ist.jpg
P.D. James: Wo Licht und Schatten ist

Die konservative Leseerwartung vieler Krimileserinnen und Krimileser zeigt sich in den aktuellen Bestsellerlisten. Da finden sich Krimis von Minette Walters oder P.D. James wieder, die eben das bedienen, was eine durchschnittliche Krimileserin oder ein durchschnittlicher Krimileser so erwartet: Einen klassischen Whodunnit, einen Rätselkrimi, gerne in einer englischen Postkartenidylle angesiedelt. Eine Erwartungshaltung, die an kleine Kinder erinnert, die jeden Abend – immer und immer wieder – die gleiche Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen bekommen möchten. Bis es irgendwann eine neue Geschichte sein darf, aber bitte so ähnlich wie die davor und vor allem mit Happy End. Schließlich sollen die lieben Kleinen keine Alpträume bekommen.

Phillys Dorothy James, 1920 in Oxford geboren, ist eine Krimiautorin, die diese Wünsche nach der immer gleichen Geschichte schon seit Jahrzehnten erfüllt. Mit „Wo Licht und Schatten ist“ legte sie ihren 17. Kriminalroman vor, der sich letztlich kaum unterscheidet von dem Roman davor („Im Saal der Mörder“) oder dem Roman davor („Tod an heiliger Stätte“). Das Strickmuster ist ähnlich: Ein Mord in der oberen, vornehmen oder jedenfalls elitären Mittelschicht in England, eine kleine Gruppe Verdächtiger und der sympathische Commander Adam Dalgliesh, der nicht nur Mörder stellt, sondern in seiner Freizeit auch noch Gedichte verfasst. Immerhin hat P.D. James ihrem Dalgliesh seit dem Roman „Tod an heiliger Stätte“ eine kleine Liebesgeschichte gegönnt, die im aktuellen Krimi, wenn auch nur als Randgeschichte, auftaucht.

Man muss P.D. James zubilligen, dass ihre Romane durch eine starke, imaginäre Kraft beseelt sind. Sie ist eine meisterhafte Dekorateurin von nebelverhangenen Krimilandschaften, deren Beschreibungen von Orten und Menschen durch Leichtigkeit und Eleganz beeindrucken. Mit der Wirklichkeit hat dies allerdings kaum etwas zu schaffen. Es verwundert nicht, dass der Roman „Wo Licht und Schatten ist“ auf einer fiktiven Insel spielt. Combe Island liegt vor der Küste Cornwalls und niemand wird sie auf einer Karte finden. Von der wechselvollen Geschichte der Insel – Stützpunkt gegen Eindringlinge, Feriensitz der wohlhabenden Familie Holcombe – ist zunächst nicht viel zu lesen. Seit 1930 wird die Insel von einer Stiftung verwaltet, die dafür sorgt, dass nur gutbetuchte und hochrangige Persönlichkeiten dort Zutritt erhalten, abgesehen vom Personal und der letzten Überlebenden der Familie Holcombe, der betagten Emily Holcombe, die ein Wohnrecht auf Lebenszeit hat und dort ihren Lebensabend verbringt.

Ein toter Dichter

the_lighthouse.jpgEine abgeschiedene Insel also, auf der exklusive Gäste Ruhe und Erholung finden. Unter ihnen ist auch der britische Schriftsteller Nathan Oliver, der auf der Insel geboren wurde und dadurch jederzeit Zutritt zur Insel erhält. Gerne wird er dort allerdings nicht gesehen. Der angesehene Dichter ist ein wahrer Quälgeist und hoffnungsloser Egozentriker. Darunter hat nicht nur das Personal von Combe Island zu leiden, auch seine einzige Tochter, Miranda Oliver, und sein Sekretär und Lektor, David Tremlett, bekommen den Zorn des Schriftstellers zu spüren. Beide begleiten ihn im Herbst auf die Insel und als Nathan entdeckt, das Miranda und David ein Verhältnis haben und heiraten wollen, bricht er mit seiner Tochter und entlässt David. Beide sollen die Insel am nächsten Tag verlassen, doch soweit kommt es nicht mehr. Am nächsten Morgen ist Nathan Oliver tot. Erhängt wird er am Leuchtturm der Insel gefunden.

Adam Dalgliesh und seine beiden Helfer, Kate Miskin und Francis Benton-Smith, werden zur Insel geflogen, um den unnatürlichen Todesfall aufzuklären. Es wird schnell klar, dass Nathan Oliver keinen Selbstmord begangen hat, sondern erwürgt wurde. Angesichts der abgeschiedenen Lage der Insel und der wenigen Menschen auf der Insel sollte es relativ einfach sein, den Fall zu klären. Neben dem Personal und den Stammbewohnern – ein Arzt und seine Frau sowie Emily und ihr Butler – befinden sich nur noch zwei weitere Gäste auf der Insel: Mark Yelland, Direktor eines Labors, in dem auch Tierversuche durchgeführt werden und der eine offene Feindschaft mit dem Dichter pflegte, und Dr. Speidel, ein ehemaliger deutscher Diplomat, der durch eine Familiengeschichte mit dem ermordeten Oliver verbunden ist. Ein gutes Dutzend Verdächtige und einer muss der Mörder sein. Dennoch ziehen sich die Ermittlungen hin, bis es schließlich einen zweiten Toten gibt und eine gefährliche Infektionskrankheit auf der Insel Einzug hält und ausgerechnet Dalgliesh ans Krankenbett gefesselt wird.

Eine Gute-Nacht-Geschichte

p_d_james.jpgWer den neuen Roman von P.D. James liest, benötigt Geduld. Die Autorin verwendet viel Zeit und viele Worte, um ihre Protagonisten einzuführen und ihre kleinen und großen Geheimnisse langsam aufzufächern. Egal ob Polizist oder Verdächtiger, jeder wird fein säuberlich beschrieben. Das führt zwar zu plastischen Charakteren, bremst aber in diesem Fall auch die Dramaturgie stark aus. Allein der Prolog, in dem der Leser zunächst nur die Polizsten kennenlernt, umfasst fast vierzig Seiten. Es schließt sich die Vorstellung der Inselbewohner an und auf Seite 112 – etwa ein Viertel des ganzen Romans – wird der erste Tote entdeckt. Hier stimmt einfach die Gewichtung nicht. Die Handlung selbst steigert sich langsam und trotz der lebendigen Beschreibungen wirkt der Roman reichlich zäh. Die auftretende Infektionskrankheit, die zur Quarantäne für die Inselbewohner führt, ist arg konstruiert, so, als wolle die Autorin auf den letzten Seiten noch einmal die Spannungsschraube anziehen, überdreht sie dabei aber leider.

Bleibt die Geschichte selbst: Die ist austauschbar und stützt sich weitgehend auf die klassischen Elemente, die man schon aus vielen anderen Kriminalromanen kennt: Ein Mord in einer geschlossenen, kleinen Gesellschaft, drei, sehr unterschiedliche Ermittler und ein Haufen Verdächtiger, von denen jeder ein Geheimnis hat, aber nur eines dann zum Mörder führt. Was bleibt, ist eine schleppende Story in einer liebevoll gestalteten Kulisse, eine weitere Variation einer kriminellen Gute-Nacht-Geschichte für Erwachsene, bei der mehr die Verpackung als der Inhalt zählt. Die meisten Krimileserinnen und -leser wird es freuen und Alpträume sind nicht zu befürchten.

P[hillys] D[orothy] James: Wo Licht und Schatten ist / Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. – München : Droemer, 2006
ISBN-10: 3-426-19717-0
ISBN-13: 978-3-426-19717-2

Originalausgabe: P[hillys] D[orothy] James: The Lighthouse. – London : Faber & Faber, 2005

Buch bestellen bei:

» amazon.de » libri.de » buch24.de