Fakten gegen Fiktion

vom Krimiblogger

Deutsche Meisterschaft
Richard Birkefeld und Göran Hachmeister: Deutsche Meisterschaft

Lange Listen mit Danksagungen in Kriminalromanen erstaunen mich immer wieder. Sie erinnern mich an endlos erscheinendene Abspänne von Kinofilmen, die darüber informieren, wer der zehnte Kabelträger war und welche Catering-Firma Schauspieler, Kameramänner und Kabelhilfen verköstigt hat. Ganz so ausführlich ist die Danksagungsliste in dem zweiten Roman von Richard Birkefeld und Göran Hachmeister zwar nicht ausgefallen, aber immerhin reicht sie über eineinhalb Buchseiten. Der Roman „Deutsche Meisterschaft“ hat diversen Archivaren, Bibliothekaren und Motorrad-Experten seine Entstehung zu verdanken, zumindest haben sie die beiden Autoren bei der Recherche unterstützt. Birkefeld und Hachmeister – beide Historiker mit dem Schwerpunkt Kultur- und Sozialgeschichte – haben fleißig in Archiven gegraben, längst vergessene Ereignisse, Fakten und Daten hervorgeholt und daraus einen historischen Kriminalroman konstruiert. Eine gute und fundierte Recherche sorgt allerdings nicht zwangsläufig für einen guten Kriminalroman – manchmal steht sie ihm sogar im Wege, nämlich dann, wenn die Fakten die Fiktion erschlagen. Dann wird’s nicht blutrünstig, sondern blutleer.

Im Mittelpunkt der Fiktion, die sich gegen die Fakten behaupten muss, stehen zwei Motorradrennfahrer, die 1926 einen erbitterten Kampf um eben jene „Deutsche Meisterschaft“ im Motorradrennen führen. Falk von Dronte, ein desillusionierter Adeliger und ehemaliges Mitglied eines Freikorps, findet in dem aufbrausenden Proletarier Arno Lamprecht sein passendes Gegenstück. Beide sind nicht nur Konkurrenten auf der Rennstrecke, sie buhlen auch um die Gunst der schönen Thea von Bock. Hübsche Frauen fallen am liebsten dem Sieger um den Hals. Doch so ruhmreich sind von Dronte und Lamprecht gar nicht. Beide werden im Laufe des Romans von ihrer Vergangenheit eingeholt.

Von Dronte war im November 1923 dabei, als ein Mitglied seiner Einheit von Kameraden wegen Vaterlandsverrat heimtückisch ermordet wurde. Obwohl die Tat vertuscht werden sollte, hat jemand den Kopf des getöteten Mannes geklaut, um die Täter zu erpressen. Nach und nach sterben die Männer, die damals an dieser „Hinrichtung“ beteiligt waren. Als nächster könnte Von Dronte eines unnatürlichen Todes sterben.

Auch Arno Lamprecht hat es mit einem verschwundenen Kopf zu tun: Während er im Vollrausch durch München irrte, wurde seine Frau Vera ermordet und enthauptet. Auch das ereignete sich während der Tage des Hitler-Ludendorff-Putsches im November 1923 und seit dem ist Arno im Visier der Polizei, obwohl ihn damals ein Zeuge entlastete. Zweieinhalb Jahre später nehmen die Polizisten die Spur wieder auf, denn es gibt neue, kopflose Leichen, die immer in der Nähe der jeweiligen Rennen gefunden wurden. Für beide Männer steht mehr auf dem Spiel, als nur die Deutsche Meisterschaft.

Soziokrimi – jetzt auch historisch

Eingebettet ist diese dürftige und altbekannte Dramaturgie – zwei schnittige Kerle, ein rassiges Weib – in ausschweifenden Schilderungen der Rennen und der Motorradszene, der jeweiligen sozialen Umstände der beiden Hauptfiguren – dekadente und abgewirtschaftete Oberschicht auf der einen Seite, bittere Armut auf der anderen Seite – sowie die politischen Unruhen und Wirren der Weimarer Republik. Rote Revolutionsrufe in Arbeiterkneipen und braune Aufmärsche und Prügeleien bilden den kontrastreichen Hintergrund für das persönliche Schicksal der beiden Motorradrennfahrer. Das ist mit Sorgfalt recherchiert und wird detailliert geschildert. Der eigentliche Krimiplot bleibt dabei auf der Strecke und eiert wie eine lahme Ente durchs Bild. Birkefeld und Hachmeister zeigen – fast schon exemplarisch – warum viele historische Kriminalromane scheitern. Die genaue Kenntnis des sozialen, kulturellen und politischen Hintergrunds sowie der Sprache ist zwar zwingend notwendig, will ein Krimierzähler nicht als Dilettant erscheinen, doch das alleine reicht nicht für eine spannende, für eine gute Kriminalgeschichte. Die kommt, wie die Dramaturgie schon zeigt, bei Birkefeld und Hachmeister erschreckend einfach gestrickt daher und bewegt sich auf längst ausgelatschten Bahnen.

Interessant wird unter diesem Aspekte eine Aussage, die Birkefeld und Hachmeister in einem Interview getroffen haben. Dort heißt es:

»Im Mittelpunkt unserer Romane steht weniger die Beziehungskriminalität als vielmehr die politisch oder strukturell definierte Gewalttat. Diese entwickelt sich aus dem historischen Kontext und gibt uns viel dezidierter Aufschluss über den Zustand des behandelten Zeitabschnitts.«

Ein Paradigma des frühen sozialkritischen Krimis wird hier unreflektiert und unbearbeitet aus der Mottenkiste geholt und auf einen historischen Kontext übertragen. Wir schreiben Soziokrimi, jetzt auch im Breitwandformat mit viel historischem Geplänkel, das uns die jeweilige Epoche näher bringt. In dieser Form ist das völliger Unsinn und kann nur ins Leere laufen. Dafür gibt es Geschichtsbücher.

Hinzu kommt, dass die Ursachen der „politisch oder strukturell definierten Gewalttaten“ bei Birkefeld und Hachmeister aufgrund der ausschweifenden historischen Schilderungen erdrückt werden und kaum als solche erkennbar sind. Die Mörder, einer von ihnen ist ein fanatischer Anhänger der Rassenhygiene, töten im Wahn, im ausladend erzähltem Blutrausch. Politische Kontexte, wie die Dolchstoßlegende oder der Irrglaube an die „reine Rasse“, nutzen die Autoren als Vehikel oder Knalleffekte, um das Motiv des ach so beliebten Serienkillers in die Zeit der Weimarer Republik zu transportieren. Vor bombastischen Kulissen spielt sich ein irrelevanter Popanz ab, der letztlich nichts über Kriminalgeschichte der jeweiligen Zeit aussagt. Danksagungslisten und Filmabspänne erzählen mehr.

Richard Birkefeld und Göran Hachmeister: Deutsche Meisterschaft : Roman. – Frankfurt am Main : Eichborn, 2006
ISBN 10: 3-8218-5767-3
ISBN 13: 978-3-8218-5767-1

Buch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de