Im Harlekinkostüm

vom Krimiblogger

Mord auf ffolkes ManorGilbert Adair: Mord auf ffolkes Manor

Gilbert Adair ist ein Meister in der Gradwanderung zwischen literarischer Parodie und Travestie: Ob in „The Key of the Tower“(1997, dt. „Der Schlüssel zum Turm“), einer schrillen Parodie auf Alfred Hitchcock, oder in „Love and Death on Long Island“ (1990, dt. „Liebestod auf Long Island“), der ironischen Hommage an Thomas Manns Erzählung „Tod in Venedig“ – gekonnt spielt Adair mit literarischen Konventionen, ohne das daraus eine alberne Klamotte wird. Der britische Autor schlüpft in die Kleider verschiedener Genre-Muster, füllt sie charmant mit Leben aus, überzeichnet sie hier und da, um die Maskerade anschließend mit Witz, Spott und oftmals beißender Kritik wieder abzustreifen.

Eine Kunst, die bei (deutschen) Kritikern oft auf Unverständnis stößt. Anders sind die verhaltenen Reaktionen auf Adairs letzten Roman „Mord auf ffolkes Manor“ kaum zu erklären. Da wird der Roman als „Pastiche auf Agatha Christie“ bezeichnet, was er eindeutig nicht ist, da Adair reichlich Seitenhiebe gegen die spätimperialitstische Kriminalliteratur des sogenannten „Goldenen Zeitalters“ austeilt, eine Pastiche jedoch ohne Satire oder Polemik auskommt. Noch schlimmer wird es, wenn der Roman als „netter“ Krimi im Stile von Agatha Christie gedeutet wird. Richtig grausig allerdings ist die Behauptung, „Mord auf ffolkes Manor“ reiche bei weitem nicht an das Original Christie heran.

Auf den ersten Blick hat Gilbert Adair mit „Mord auf ffolkes Manor“, der im Original den wesentlich treffenderen Titel „The Act of Roger Murgatroyd“ trägt und in dem das Wort „Act“ bereits auf eine Mehrdeutigkeit – Schauspiel, Aufführung, Gesetz, Spiel aber eben auch Tat – hinweist, tatsächlich einen klassischen Wer-war’s-Krimi geschrieben, kombiniert mit einem Mord in einem geschlossenen Raum, dem berühmten „Looked-Room-Mystery“. Formal entspricht der Plot diesen Vorgaben: Eine illustre Gesellschaft hat sich im Gutshaus der Familie ffolkes versammelt, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Neben Colonel ffolkes, seiner Frau und deren Tochter Selina, sind der örtliche Vikar und Gattin, der örtliche Doktor und Gattin, die Schauspielerin Cora Rutherford, die Krimiautorin Evadne Mount sowie Selinas amerikanischer Freund Don und der Klatschkoluminist Raymond Gentry anwesend. Dazu gesellt sich eine ganze Reihe von Dienstboten.

Am Morgen des zweiten Weihnachtstages wird Raymond Gentry ermordet in seiner, von innen verschlossenen, Dachkammer vorgefunden. Niemand trauert um ihn, war Gentry zu Lebzeiten doch ein widerlicher Schreiberling, immer auf der Suche nach Klatsch und Tratsch und im Privatleben der anwesenden Personen herumschnüffelnd. Jeder im Hause ffolkes hätte einen Grund gehabt, Gentry ins Jenseits zu befördern. Da die Gesellschaft eingeschneit ist, wird der in der Nachbarschaft lebende und seinen Ruhestand genießende Polizist Trubshaw zur Hilfe geholt. Während Trubshaw die anwesenden Gäste nacheinander befragt und ihre kleinen und großen Lügen – von Feigheit im Kriege über Seitensprünge bis hin zu Homosexualität – herausfindet, beschäftigen sich auch die „kleinen, grauen Zellen“ der anwesenden Krimiautorin Evadne Mount mit der Lösung des Falls. Mount und Trubshaw liefern sich ein Wettrennen bei der Aufklärung des Mordes – dabei hat der Mörder schon sein nächstes Opfer im Visier.

Dechiffrierung statt Rätsel

the act of roger murgatroydWesentliche Elemente eines klassischen Kriminalromans in der Tradition von Christie sind also vertreten: Eine abgeschlossene Gesellschaft, in der jeder ein Tatmotiv hat, ein einfältiger Polizist, der in Konkurrenz zu einer klugen Amateurdetektivin steht und natürlich das ganze Interieur englischer Krimikunst – vom Gutshaus bis hin zur verschneiten Landschaft. Einzig das Rätsel des verschlossenen Raumes ist von John Dickson Carr abgekupfert, was allerdings im Roman selbst ironisch thematisiert wird. Schon hier zeigt sich, dass „Mord auf ffolkes Manor“ sich der üblichen Lesart von „Wer-war’s?“-Krimis entzieht. Überall laueren Anspielungen, sei es in den Namen der handelnden Personen, sei es die Zeit, in der der Roman spielt. So dürfte Cora Rutherford zum Beispiel ein deutliche Hinweis auf Margaret Rutherford sein, aber auch die Doppeldeutigkeit des Namens „ffolkes“, in dem das Wort „folk“, also Volk, steckt. Auch der zweite Weihnachtstag als Handlungszeit ist interessant. Der „Boxing Day“ – so nennt man diesen Feiertag auf der Insel – war in England traditionell der Tag, an dem die Hausangestellten von ihren Dienstherren ihre Weihnachtsgeschenke in einer Schachtel (Box) bekamen. Im Zusammenhang mit der Lösung des Falls bekommt dies eine ganz andere Bedeutung.

Adair führt hier das englische Klassendenken reichlich ad absurdum und macht sich darüber lustig. Das setzt sich in Tabuthemen, wie etwa der Homosexualität des ermordeten Gentry, der als „Urning“ bezeichnet wird, fort. Der schmierige, kleine Kolumnist, der nichts anderes als den Tod verdient hat, sagt mehr über die Ängste der damaligen Gesellschaft aus, als es Christies harmlose Romane je getan hätten. Dem törichten Mitraten nach dem Täter setzt Adair ein anspruchsvolles Dechiffrieren der Subtexte in klassischen Kriminalromanen entgegen. Dabei kommt – wie bei einer guten Travestie – die Demaskierung und die Kritik von innen heraus und fällt um so ätzender und bissiger aus. Adair, der im Harlekinkostüm des klassischen Krimiautors stilistisch einer Agatha Christie weit überlegen ist, legt die Hand genau in die Wunden der braven, englischen Krimiwelt, die so gerne überlesen werden. Das ist auch – aber eben nicht nur – ein großer Spaß, es ist auf keinen Fall „nett“ – es ist vielmehr der kluge Versuch, alberne Kriminalliteratur mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Adair ist dies auf raffinierte Weise gelungen – man muss ihn nur lesen können.

Gilbert Adair: Mord auf ffolkes Manor : eine Art Kriminalroman / Aus dem Englischen von Jochen Schimmang. – München : C. H. Beck, 2006
ISBN-10: 3-406-55065-7
ISBN-13: 978-3-406-55065-2

Originalausgabe: Gilbert Adair: The Act of Roger Murgatroyd – London : Faber & Faber, 2006

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