Glauser – Folge 6 – Ein kleines Rätsel
vom Krimiblogger
Ein kleines Rätsel: Zehn Anfänge, zehn erste Abschnitte aus zehn unterschiedlichen Kriminalromanen, von zehn unterschiedlichen Autorinnen und Autoren. Gemeinsam ist allen Büchern, aus denen diese Anfangszitate stammen, dass sie auf der Liste der diesjährigen eingesandten Titel für den Glauser stehen. Das heißt, theoretische hätte jedes dieser Bücher nominiert werden können. Allerdings findet sich unter diesen Anfängen nur einer, der aus einem nominierten Roman stammt. Meine Fragen:
1. Welcher Anfang (bitte nur einen nennen) würde Dich oder Sie so reizen, dass Du/Sie dieses Buch sofort weiterlesen möchtest/möchten?
2. Welcher Anfang stammt aus dem nominierten Buch?
Bitte einfach die Textnummern per Kommentar abgeben. Alles klar? Dann geht’s los mit den Texten.
Text Nr. 1:
„Damit hatte er nicht gerechnet. Gewiss, man konnte ihm alles Mögliche vorwerfen – Habgier, Gerissenheit, Besserwisserei zum Beispiel. All das hätte ihm sogar geschmeichelt und wäre Balsam für seine Eitelkeit gewesen. Aber eins hatte er sich noch nie vorhalten lassen müssen: Naivität. Nein, naiv war Sönke Westphal noch nie gewesen. Der allerletzte Funken Naivität, den er einmal in sich gehabt haben mochte, war spätestens bei seiner Rückkehr aus Kamerun erloschen. Dachte Westphal jedenfalls bis zu diesem Augenblick, in dem er langsam vor sich hin verblutete.“
Text Nr. 2:
„Sofort nach dem ersten Klingelzeichen öffnete er die Tür. »Bin gespannt, was du heute vorhast«, sagte er ohne Begrüßung, fasste sie am Arm und zog sie in die Wohnung. Die Tür fiel ins Schloss.
Als er sie an die Wand drängen und küssen wollte, drückte sie ihn von sich weg. »Lass dir Zeit. Heute habe ich was Besonderes vor. Es wird dir gefallen.«“
Text Nr. 3:
„Vier vor halb, zum ersten Mal war er der letzte. Der Parkplatz war voll. Erst ganz hinten, neben der Bank unter der großen Kastanie, fand Jon noch einen Platz neben Kowalskis senfgelbem Passat-Kombi, dessen Heck schräg aus der Reihe herausragte. Nicht einmal anständig einparken konnte das dumme Schwein.“
Text Nr. 4:
„Später würde ich die Begegnung als das sehen, was sie tatsächlich gewesen war. Der Anfang vom Ende einer Zeit, die zum Sterben verurteilt war.
Und Lenz sagte: »Philly, bist du da? Bist du tatsächlich da?«
Kein Mensch auf der Welt nannte mich noch Philly, aber vielleicht war für Lenz die Welt stehen geblieben? Wann hatte ich ihn das letzte Mal gesehen?“
Text Nr. 5:
„Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und sah zu, wie ein Regentropfen in der Glut verdampfte. Ihm war warm, ein Gefühl, das von innen kam, nicht vom Wetter. Es war das Gefühl, nach einem langen Lauf endlich angekommen zu sein, die verdiente Siegerehrung vor Augen.“
Text Nr. 6:
„»Ziehnse die Vorhaut zurück.«
Er zog die Vorhaut zurück. Der große, hagere Uniformierte betrachtete das Glied des Gefangenen. Dann musste er sich nach vorn beugen und die Gesäßbacken auseinander ziehen. Der Uniformierte beäugte den After des Gefangenen. Dann musste der sich mit dem Gesicht an die Wand stellen.“
Text Nr. 7:
„Ich sah es Beas Gesicht an. Der Anruf war so dringend, als ginge es um Leben und Tod. Ich hörte die Stimme aus dem Telefon, hoch und schrill. Bea hatte den Hörer am Ohr und den Finger im Kalender.
»Das sieht ganz schlecht aus. Das ist unmöglich.« Bea bedauerte.“
Text Nr. 8:
„Das Ziehen in seinem Bauch ist fast verschwunden. Wenn er mit der Faust dagegenschlägt, spürt er noch ein leichtes Kribbeln. Als kröche ein Käfer in seinem Inneren umher. Als seien nicht alle Holzsplitter entfernt worden, die in der Wunde zurückgeblieben waren. Als steckten sie noch tief in ihm drin. „
Text Nr. 9:
„28 Meter in der Länge, 18 Meter breit. Der glänzende Fußboden aus bestem Parkett. Auf der Bühne standen die Requisiten bereit, links das Pult mit Mikrophon für den Auktionator, daneben die Tischreihe, auf der später die Flaschen stehen würden. Die Stuhlreihen füllten die Hälfte des Raums, auf den Plätzen lagen Ziffer-Tafeln, traditionelles Utensil der Bieter.“
Text Nr. 10:
„Er hat sie im Visier. Was er sieht, erregt ihn.
Vollkommene Brüste, rund und fest. Eine zarte Taille. Ein knackiger Arsch. Straffe, wohlgeformte Schenkel, schlanke Waden. Die kurzgeschnittenen, strohblonden Haare vom Wind zerzaust. Das ebenmäßige Madonnengesicht zu einer hässlichen Grimasse verzerrt. Angst, Lust, Erregung und Ärger spiegeln sich in ihren Zügen wider.“
Wer nochmal nachschauen möchte, findet hier die Nominees in den Kategorien Roman und Debüt.
Viel Spaß beim Rätsel. Auflösung kommt durch Euch oder in einigen Tagen von mir. Falls jemand alle Textstellen Autor/innen und Büchern zuordnen kann – lasst es mich wissen. Wäre natürlich nett, wenn sich die Glauser-Juroren daran nicht beteiligen, und zu gewinnen gibt es leider auch nichts (außer Leseerfahrung) sorry. 😉
Kommentare
Ganz ehrlich: Gar keins. Ich finde diese Anfänge allesamt schrecklich (okay, Nr. 1 geht noch, vielleicht noch der originellste). Aber what the f**ck soll Der Anfang vom Ende einer Zeit, die zum Sterben verurteilt war oder Bea bedauerte???
Glauser-Nominierte auseinander zunehmen macht bestimmt Spaß, also nur her mit solchen Rätseln 😉 Aber wer hieß denn da ausgerechnet
Phil Marlo…Philly? …Wenn ein Beginn, dann nur die Nr.4. Kann sein das ich gleich an Marlow gedacht habe, aber die anderen hatten nichts anziehendes.
Ich kenne die Lösung, darf mich aber nicht beteiligen. 🙁
Ganz ehrlich finde ich alle Anfänge nicht so berauschend, muss jedoch erklärend hinzufügen, dass mich selten ein Romananfang wirklich begeistert.
Die ersten und die letzten Zeilen sind aus meiner Sicht mit das Schwierigste an meinen Manuskripten.
Zwei Ausnahmen für wirklich gute erste Zeilen:
Max Frischs, Stiller
und
Friedrich Dürrenmatts Durcheinandertal
Bei deinen 10 Anfängen, hätte ich die Bücher nicht im Regal stehen, würde ich im Buchladen ein paar Seiten weiterblätten und sehen was dort steht 😉
Alles Liebe von der warmen Seite des Erdballs ins kalte Deutschland
Marcus Starck
Moin, Ludger,
alter Schlingel! Das nenn‘ ich Blogleser-Verarsche! Hast einfach den nominierten Titel genommen, in zehn Teile zerlegt und aus jedem Teil einen eigenen Anfang gemacht! Meine Hochachtung! Für alle, die’s interessiert, hier der Originalanfang:
„Erst ganz hinten, neben der Bank unter der großen Kastanie, drückte sie ihn von sich weg. Er zog die Vorhaut zurück. Es war das Gefühl, nach einem langen Lauf endlich angekommen zu sein, die verdiente Siegerehrung vor Augen. „Das sieht ganz schlecht aus. Das ist unmöglich.“ Bea bedauerte. Damit hatte er nicht gerechnet. 28 Meter in der Länge, 18 Meter breit. Der Anfang vom Ende einer Zeit, die zum Sterben verurteilt war. Angst, Lust, Erregung und Ärger spiegeln sich in ihren Zügen wider. Als seien nicht alle Holzsplitter entfernt worden.“
Ich verrat aber nicht, wie das Buch heißt!
bye
dpr
Hallo Ludger
stimmt das mit der Verarsche?
Wenn nicht, Nr.1 würde mich am ehesten zum weiterlesen animieren.
Aber so wie Marcus Stark lese ich lieber irgendwo und wenn der „Wortfluss“ mir gefällt, kaufe ich das Buch.
Wenn das stimmt, was dpr schreibt, würde ich die Geschichte nicht lesen.
Und zwar weil so viel „Nackheit“ mich abstösst.
lg
esther
ohje, Nacktheit heisst das.
e
dpr, das kann ich mir nicht vorstellen. Nr. 1,2, 4, 5, 7 und 9 kann ich eindeutig eigenständigen Romananfängen zuordnen. Und einen dieser Anfänge stammt zweifelsfrei von einem für den diesjährigen Glauser nominierten Buch.
Von mir gibts keinen Spoiler 😉
So und jetzt lass ich mir die Haare schneiden, bevor ich mich in meinen Lieblingspub begebe und den Fischerbooten beim Einlaufen zusehe 😀
Marcus Starck
Hallo Ludger,
tippe ebenfalls auf die Nr. 1. Bei Nr. 2,4, 5 und 7 hätte ich vermutlich sofort mit dem Weiterlesen aufgehört. Die anderen sind wenig orginell.
Habe noch weiteren Link gefunden, der die ersten Zeilen von Romanen eines Autors behandelt:
http://www.miskatonic.org/parker-first-lines.html
Ich finde, Westlake hat hier einen besonderen Dreh gefunden. Hier ist man sofort in der Story drin.
Claus
Auch Oje:
einer (nicht einen) dieser Anfänge stammt …
Marcus Starck
~/*~
Hallo Marcus,
das kannst du dir nicht vorstellen? Also hör mal! Unter Ludgers zehn gefakten Anfängen gibt es keinen einzigen, der es mit dem Original rein stil- und dramaturgietechnisch aufnehmen könnte. Schon der Anfang ist mysteriös:
Erst ganz hinten, neben der Bank unter der großen Kastanie, drückte sie ihn von sich weg.
Der Text verschweigt uns etwas (was war, bevor man ganz hinten war?), das sollte ein guter Krimi immer.
Er zog die Vorhaut zurück.
Das nenne ich einen geraden, sauberen Satz! Zwischen Satz eins (mysteriös, etwas gemächlich) und diesem entsteht eine Fallhöhe, die den Leser aufweckt.
Es war das Gefühl, nach einem langen Lauf endlich angekommen zu sein, die verdiente Siegerehrung vor Augen.
Hier wird die Fallhöhe quasi revidiert. Die Sprache bedient sich eines Bildes, das zwar nicht originell ist, aber immerhin ein Bild.
„Das sieht ganz schlecht aus. Das ist unmöglich.“ Bea bedauerte.
Ende der Illusion. Leser / Leserin fühlt mit.
Damit hatte er nicht gerechnet. 28 Meter in der Länge, 18 Meter breit.
Die Story scheint eigentlich schon abgeschlossen (sie will nicht, er darf nicht), da wird sie schon wieder mysteriös. Was ist hier 28 m lang und 18 m breit? Wenn es das ist, was Leser / Leserin wohl zunächst vermuten, haben wir es bei unserem Autor mit einem Scherzbold zu tun, der die Story ins Surrealistisch-Groteske kippen lässt. Nicht schlecht! Wenn aber nicht, wenn hier etwas anderes 28 auf 18 ist – was? Strange, strange, wie man in Australien sagt.
Der Anfang vom Ende einer Zeit, die zum Sterben verurteilt war.
Okay, okay, dieser Satz ist einfach Scheiße. Aber vergiss nicht, wir reden hier über einen DEUTSCHEN Krimi. Muss halt immer Hochliteratur sein und wenigstens ansatzweise so klingen, als könnte man ihn beim Klagenfurter Hochleistungsdichten vortragen. Schwamm drüber.
Angst, Lust, Erregung und Ärger spiegeln sich in ihren Zügen wider.
Der mit Abstand seltsamste Satz. An sich genauso Scheiße wie sein Vorgänger, aber beachte, wie aus der Vergangenheitsform urplötzlich die Gegenwart (spiegeln) wird! Das nenn ich die Durchdringung von Zeit! Da wird, nehm ich mal an, im weiteren auch der Raum durchdrungen werden. Und tatsächlich:
Als seien nicht alle Holzsplitter entfernt worden.
Holzsplitter? Woraus denn? Aus Beas Gesicht? Des Mannes bloßgelegter Eichel? Oder jenem 28 x 18 Meter großen, noch immer unbeschriebenen Gegenstand? Wir wissen es nicht. Und hier schließt sich der Kreis, wir kehren wieder an den Anfang zurück, der uns ebenfalls etwas vorenthält. Eigentlich genügt mir schon dieser Absatz, da brauch ich wirklich nicht mehr. Ich könnte ihn immer und immer wieder lesen. Große Literatur! Kriegt den Glauser! Garantiert!
bye
dpr
Finde ebenfalls nur den ersten Romananfang spannend.
Alle anderen sind eine mehr oder weniger kräftige Einladung zum Nicht-Kaufen.
Oh Gottogottogott!
Was fürn Schiet ….