Krimi als Handwerk
vom Krimiblogger
James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Kriminalroman schreibt
Frisch eingetroffen: Das Handwerksbuch zum Thema Kriminalroman, vom Meister des kreativen Schreibens, James N. Frey. Nicht, das hier falsche Hoffnungen aufkeimen, ich will mich nicht als Krimischreiber verdingen, das Buch dient mir als Hintergrundlektüre. Frey hat in der Szene des kreativen Schreibens einen ziemlichen Namen.
Nach wie vor ein Klassiker in Sachen Schreiben über das Schreiben ist Edward Morgan Forsters „Ansichten des Romans“ (Aspects of the Novel), in der deutschen Ausgabe leider schon seit langer Zeit vergriffen. Eigentlich eine Sammlung von Vorlesungen, die Forster an der Cambridge Universität gehalten hat, geht er doch auf die wichtigsten Aspekte des Romans – Plot, Figuren, Handlung – ein. Die englische Ausgabe ist glücklicherweise noch lieferbar.
P.S.: Vielleicht reichen ja auch die Zehn Gebote für Krimiautoren von dpr.
Kommentare
Moin, Ludger,
Meine grundsätzliche Skepsis gegenüber „Schreibschulen“ jeglicher Art mal beiseite. Aber eines liefern die englischsprachigen Herren Frey und Forster mit Sicherheit nicht: eine Anleitung zum Umgang mit der deutschen Sprache. Da liegt aber meines Erachtens das Hauptproblem und wird die Geschichte erst richtig interessant. Ein Heftromanautor muss sich eine völlig andere Sprache erarbeiten als ein, nun ja, Glauser-Aspirant. Dass vor allem letztere hier Defizite aufweisen, dürfte nach deiner Zehn-Anfänge-Rätselshow auf der Hand liegen. Und was nützt mir ein „verdammt guter Krimi“, bei dessen Lektüre ich körperliche Schmerzen bekomme, weil die Sprache so erschreckend hilflos ist?
Ich arbeite momentan an einem Essay über die Sprache der sog. „Schundliteratur“. Es ist schier unglaublich, wie präzise dort früher gearbeitet wurde – und das von Fließbandautoren! Man muss weder das Genre mögen noch die Heftchensprache an sich, aber die Jungs und Mädels trafen eben genau das, was sie treffen sollten. Wünsche ich mir auch von „ernsthaften Schreibern“. Davon abgesehen mögen „Schreibschulen“ inspirieren. Blaupausen liefern sollten sie nicht. Ich möchte ehrlich gesagt keinen Krimi lesen, von dem ich nach 50 Seiten sage: „Aha, der ist nach dem Frey-Verdammt-guter-Krimi-Prinzip gestrickt“.
bye
dpr
Moin,
deswegen finde ich Punkt 6 in deinen Regeln „Arbeite an deiner Sprache, bevor du mit ihr arbeitest.“ einen guten Punkt. Nur: Wie arbeite ich an meiner Sprache? Lesen, viel lesen, schreiben, viel schreiben, Synonymwörterbuch, Fremdwörterbuch, Herkunfswörterbuch, Slangwörterbuch…. In welchem Kontext wird welche Sprache benutzt? Gutes Hinhören? Zwei Arbeiter, die morgens oder abends in der U-Bahn neben mir sitzen, sprechen anders (morgens meistens gar nicht, abends lauter, aufgekrazter, motzend), als ein schnikes Ehepaar aus Eppendorf, das auf dem Weg in die Oper ist. Natürlich hast du Recht: Frey als US-Amerikaner und Forster als Engländer, dazu noch aus längst vergangnen Tagen, können mir wenig über deutsche Sprache erzählen. Das ist auch bei manchen deutschen Krimiautoren das Problem: Da werden amerikanische oder englische oder französische „Muster“ benutzt, aber die sind oft nur schwerlich ins Deutsche zu übertragen oder die Autoren passen einfach nicht auf (siehe etwa Frank Schätzing, der eine furchtbare Sprache hat – da mag der Plot noch so dolle sein, da mögen die Recherchen noch so umfangreich und genau gewesen sein).
Meine „Gebrauchstexte“, die ich so tagtäglich verfassen muss, öden mich auch oft an, aber wenn Chefe die so will, dann muss ich das so machen. Einfach, spannend und raffiniert zu schreiben ist zig mal schwieriger, als eine gestochene Akademikersprache – etwa in einer drögen wissenschaftlichen Abhandlung – zu verfassen, jedenfalls mein Eindruck. Ich könnte schon allein deshalb keinen Krimi schreiben, weil ich ständig an den Worten herumwursteln würde und so nie ein Ende in Sicht wäre. Von wirklich aufregenden Dingen, die mir nie passieren, mal ganz abgesehen.
Das Frey-Buch kam mir unter, weil er fast als Meister dieser ganzen kreativen-Schreibe-Nummer gefeiert wird. Was ich ganz spannend finde: Es gibt kaum gute Sekundärliteratur über Kriminalromane, kein vernünftiges Lexikon, ein paar Bibliographien – die auf Deutsch veröffentlicht werden. ABER es gibt mit dem Frey-Titel mittlerweile das vierte Hand/Lehrbuch zum Thema „Wie schreibe ich einen Krimi?“, das in den letzten sechs Jahren veröffentlicht wurde. Nur eines davon ist übrigens originär deutsch (Das Wort zum Mord von Anja Kemmerzell & Else Laudan), die anderen sind Übersetzungen („Krimis schreiben: Ein Handbuch der Private Eye Writers of America“, hrsg. von Robert J. Randisi bei Zweitausendeins und „Crime – Kriminalromane und Thriller schreiben“ von Larry Beinhart. ) Offensichtlich scheint es ein großes Nachholbedürfnis zu geben.
Viele Grüße
Ludger
Moin Ludger,
du hast zwei wichtige Dinge schon genannt: Die Sprache muss natürlich „irgendwas“ mit der Story und dem Personal zu tun haben. Wenn ich einen Opel-Arbeiter „Mich dünkt, da dräut uns ein schwerer Tag am Horizont“ sagen lasse, mag das ja durchaus vom Autor so gewollt sein. Mit „Abbildung der Wirklichkeit“ hats dann aber nichts mehr tun. Da hilft nur lesen, zuhören, notieren. Diese „perfekte Blaupause“ gibt es nicht. Ich könnte mir sicher einen der großen Romane der Weltliteratur vornehmen und sagen: Okay, das ist für mich Sprache, so will ich auch schreiben. Und dann schreibe ich einen Krimi wie Vladimir Nabokov die Lolita geschrieben hat oder wie Arno Schmidt oder Goethe – und? Selbst wenn ich das durchhielte, könnts ein miserabler Krimi werden, ja, ich würd fast drauf wetten.
Zweitens: Denk dir eine Zielgruppe aus, und wenn du selber diese Zielgruppe bist. Ich arbeite als Spieleentwickler und -programmierer im Bildungsbereich, meine Zielgruppe sind 15jährige Kids, die vor dem Hauptschulabschluss stehen. Denen kann ich kaum mit „geschliffener Sprache“ und Schachtelsätzen kommen, die hauen mir das Zeug schneller um die Ohren wie ich „Multimedia“ sagen kann. So gesehen ist das Verfertigen von „Gebrauchstexten“ eine wunderbare Übung. Ist auch Literatur! Wenn du in der Lage bist, eine Gebrauchsanweisung so zu schreiben, dass man danach ohne Mühe einen Kleiderschrank aufbauen kann, bist du ein Literat! Kein Witz! Du hast nämlich etwas Wesentliches kapiert. Genauso, wenn du selbst deine Zielgruppe bist und dir sagst: Okay, ich will einen Krimi schreiben, den ich selbst gerne lesen würde. Dass du dabei wie ein Depp an jedem Wort herumdokterst, gehört anfänglich zum Geschäft. Es legt sich aber, weil du bald ein Gespür dafür bekommst, wann ein Satz „falsch“ ist.
Davon kann ich momentan ein Lied singen, da ich gerade das erste Kapitel eines Krimis unter der Feder habe und mindestens schon zehnmal korrigiert hab. Aber das geht schnell; du liest und weißt: Aha, das stimmt noch nicht ganz. Also noch mal drüber.
Ganz kurz: Da kommen einfach viele Faktoren zusammen, und deshalb auch mein Misstrauen gegen „Schreibschulen“. Ich habe halt z.B. einen gehörigen Respekt vor Heftchenschreibern, über deren „Stil“ man in akademischen Zirkeln die Nase rümpfen würde. Aber sie haben zwei wesentliche Dinge gut erkannt (wenn sie top sind; gibt natürlich auch Flaschen): Schreibe für deine Zielgruppe – und entwickle eine Sprache, die deiner Absicht entspricht.
Grundsätzlich gilt immer noch, dass Krimis Literatur sind und nicht aneinandergereihte Morde. Hat sich leider noch nicht bis in die entferntesten Winkel unserer Gauen herumgesprochen, erst gestern hatte ich wieder ein Urerlebnis, das hier kurz kommentiert wird.
Wenn ich ein Lehrbuch zum Krimischreiben schreiben würde, dann sicher eins, das die Leute erstmal davon überzeugen müsste, welchen Wert die richtige Sprache hat und dass es Arbeit ist, SEINE Sprache für SEINEN Krimi zu entwickeln. Plot, Spannungsbögen, Personenzeichnung – auch immens wichtig, klar. Aber Grundlage ist die Sprache. Werd aber den Teufel tun, ein Lehrbuch zu schreiben.
bye
dpr