Humor und Hintersinn

vom Krimiblogger

Die siebte Stunde von Elisabeth HerrmannElisabeth Herrmann: Die siebte Stunde

Eine Gruppe von Rollenspielern, Jugendliche, die durch eine Schul-AG erste Einblicke in die Juristerei bekommen sollen und unglückliche Teenagerliebe – die Themen in Elisabeth Herrmanns zweiten Kriminalroman „Die siebte Stunde“ wirken unpolitischer als in ihrem viel beachteten Debüt → „Das Kindermädchen“, das vor zwei Jahren reichlich Lob einheimste. Vergessene Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich haben auf den ersten Blick eine größere Brisanz als Kids, die für ein paar Stunden in einen schwarzen Umhang schlüpfen und in Berliner Parks Prinz und Vampir spielen. Doch Elisabeth Herrmann versteht es auch in ihrem zweiten Roman einen scharfen und fesselnden Blick auf Lebenswirklichkeit in der deutschen Hauptstadt zu werfen.

Das Medienspektakel um Gewalt an der Berliner → Rütli-Schule (der „Terrorschule“) mag dem einen oder anderen noch in Erinnerung sein. In Elisabeth Herrmanns Roman gibt es gleich zwei Schulen, die allerdings nicht im Stadtteil Neukölln sondern in Pankow gelegen sind. Während die Alma-Mahler-Werfel-Hauptschule eine Bruchbude ist, erstrahlt die gegenüber gelegene Herbert-Breitenbach-Schule im frischen Glanz. Eine wohlhabende Privatschule, an der gutsituierte Eltern ihre Schüler in einer elitären Gemeinschaft durch die besten Lehrer aufs Leben vorbereiten lassen. In dieser Schule soll Joachim Vernau, idealistischer und verarmter Anwalt, den „Teen Court“ leiten. Das ist eine Schul-AG, in der die älteren Schüler über die kleinen Vergehen an der Schule beraten und ihr Urteil fällen, in der aber auch juristische Probleme diskutiert werden. Eine ideale Spielwiese für spätere Juristen.

Vernau, der zusammen mit der chaotischen Marie Luise eine schlecht laufende Kanzlei betreibt, ist froh, einen guten Nebenjob gefunden zu haben. Die Arbeit mit den Schülern könnte ihm sogar Spaß machen, wären die Jugendlichen nicht so verstockt. Was Vernau zunächst als elitäres Gehabe abtut, entpuppt sich schon bald als gefährlicher Psychoterror. Eine ehemalige Mitschülerin aus der AG hat Selbstmord begangen, doch ihre Eltern glauben nicht an den Freitod ihrer Tochter. Stoisch fordern sie von der Schulleiterin, einer eiskalten Geschäftsfrau, Aufklärung darüber, was in der Schule passiert ist. Auch unter den Mitgliedern der AG greift immer mehr Angst um sich, bekommen sie doch anonyme Drohungen. Zunächst in Form eines schwarzen Bandes um ihren Stuhl, dann schließlich SMS-Nachrichten, abgeschickt vom Handy der toten Schülerin.

Rollenspiel vs. Realität

Bei seiner Suche nach der Wahrheit entdeckt Vernau, dass die Jugendlichen an sogenannten → LARPs teilnehmen, Live Action Roll Plays, Rollenspielen, bei denen sie sich zum Beispiel in Vampire oder Prinzen verwandeln. Es kommt, wie es kommen muss: Der neugierige Anwalt schleust sich in diese Spielerszene ein, trifft sich mit verkleideten Gestalten im Schutze der Nacht und wird auf die geheimnisvolle schwarze Königin aufmerksam, die ihre baldige Ankunft ankündigt. Dies sorgt in der Spielerszene für einigen Aufruhr – und im echten Leben für weitere Tote. Denn einer der Spieler hat offenbar die Grenze zwischen Spiel und Wirklichkeit aus den Augen verloren.

Wie schon in ihrem ersten Roman verbindet Herrmann gelungen Humor mit Tragik, Spiel mit Ernsthaftigkeit und Phantasie mit Realität. Ihre Fabulierlust ist noch ein wenig überbordender als im „Kindermädchen“, ohne das darunter die glaubhafte und lebensnahe Schilderung ihrer Figuren leiden würde. Die immer größer werdende soziale Schere, wie sie sich vor allem in deutschen Großstädten zeigt, ist bei ihr ebenso ein Thema, wie die Situation an den Schulen, das Leben auf dem Berliner Kiez oder ein Abstecher in die Kneipen. Dazu gesellen sich eine ganze Reihe von Haupt- und Nebenfiguren wie zum Beispiel mysteriöse Rollenspieler, eingebildete Schulbubies, polnische Automechaniker oder melancholische Kneipenwirte.

Herrmanns Roman ist bunt, prall und unterhaltsam. Ob der Kriminalroman wirklich die einzig mögliche Form des Gesellschaftsromans ist, sei einmal dahin gestellt. Nur: Wenn Kriminalliteratur auch Gesellschaftsliteratur sein soll(te), dann gerne in der Art und Weise, wie ihn Elisabeth Herrmann schreibt: Als lesenswerter Spannungsbogen zwischen Unterhaltung und Ernst, gestärkt durch Hintersinn, Humor und Bodenhaftung. Besonders bemerkenswert ist dabei die schriftstellerische Souveränität, mit der Elisabeth Herrmann reale Begebenheiten – wie etwa die Rütli-Schule – einfließen lässt oder zumindest als Inspiration nutzt, sie aber verfremdet und so eine eigene, faszinierende Fiktion entwirft, die sehr lebendig vor dem Auge des Lesers entsteht. Auch wenn es hier und da in der Dramaturgie ein wenig knackt, ist „Die siebte Stunde“ doch ein schlaues Wechselspiel zwischen Literatur und Wirklichkeit. Lesenswert.

Elisabeth Herrmann: Die siebte Stunde : Kriminalroman. – München : List, 2007
ISBN 978-3-475-79553-8

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