„Es gibt keine Fiktion“

vom Krimiblogger

Officer PembryGiwi Margwelaschwili: Officer Pembry

Grenzgänger haben der Kriminalliteratur oft gut getan. Der deutsch-georgische Autor Giwi Margwelaschwili ist ein Grenzgänger in vielerlei Hinsicht: Er ist Schriftsteller, Philosoph und → Ontotextologe. In seiner Biografie, die ihren Lauf von Berlin, über das spätere West- und Ost-Berlin bis hin nach Tiflis nahm, um 1990 wieder in Berlin anzukommen, spiegelt sich die wechselvolle europäische Geschichte wider. Als Autor ist Margwelaschwili ebenfalls mit verschiedenen literarischen Territorien vertraut. Grenzen überschreitet er auch mit seinem Roman „Officer Pembry“, eine literarisch-philosophische Science-Fiction- und Kriminalgeschichte, in der Romanfiguren plötzlich viel lebendiger werden, als man es sonst von ihnen gewohnt ist.

Hundert Jahre – sollte ich magisch oder märchenhaft davor setzen? – hundert Jahre sind vergangen, seit jener Roman erschien, der unserer Popkultur am Ende des 20. Jahrhunderts einen Serienmörder zum Anhimmeln bescherte: Thomas Harris „Das Schweigen der Lämmer“. Nie waren Serienmörder klüger, begehrenswerter und schauriger als Dr. Hannibal Lecter. Nach hundert Jahren ist dieser romantische Ausflug ins Grau und Grauen der Seele natürlich längst vergessen, wäre da nicht die prospektive Kriminalpolizei, kurz PKP, die sich um die Verhinderung von Verbrechen kümmert, die vorzugsweise in Kriminalromanen – wo auch sonst – angekündigt werden. Genau solche Verbrechen beschreibt „Das Schweigen der Lämmer“: Zum Beispiel den Mord an Officer Pembry, der nun als Realperson das ausbaden soll, was sich Thomas Harris vor hundert Jahren ausgedacht hat. Während des Abendessens, dass er zusammen mit seinem Kollegen Boyle dem Häftling Dr. Lecter bringen soll, wird dieser über beide herfallen und – wir wissen es – sie töten. Ein Mord zwischen zwei Buchdeckeln, der jetzt Wirklichkeit zu werden droht, wäre da nicht der Beamte Meinleser, der den bedauernswerten Pembry genau auf diese Szene vorzubereiten hat.

Ein mühseliges Unterfangen, wie Meinleser schnell herausfindet, den Pembry ist ein Angsthase und scheint dieser Aufgabe – denn vor der krimibibliologischen Parallelität gibt es kein Entrinnen – nicht gewachsen zu sein. So führen Meinleser und Pembry lange Gespräche, die zugleich die wunderschön schrägen Dialoge des Romans ausmachen. Während die beiden also sprechen, vernimmt Meinleser immer lauter ein Raunen. „Er ist ein Esel“ schallt es aus dem Buch und es wird klar, wer da mit ihm spricht: die Buchperson Pembry, die natürlich auch ein Interesse daran hat, dass seine Buchparallelität sich nicht in Realität verwandelt. Buchpersonen können, wer hätte es gedacht, Kontakt zu ihren Lesern aufnehmen. So also verbindet sich die Buchperson Pembry gedanklich mit dem Beamten Meinleser um den armen, realen Pembry vor dem Tod zu retten.

Jenseits des Genres

Wie aber nur funktioniert das nur alles? Giwi Margwelaschwili, der hier als Ontotextologe spricht, entspinnt nicht nur eine spannende Handlung, er gibt ihr auch gleich die theoretischen Grundlagen bei. Drei Vermutungen hält er bereit:

„Alle in der Welt entstandenen und entstehenden Kriminalromane haben – weil sie die Mordfälle immer als reale Geschehnisse ausgeben, also als solche, an denen so oder so Realpersonen beteiligt waren (sind) – die Tendenz, zu Ontocodes für echte Realpersonen und deren Lebensgeschichten zu werden. (…) Dann sind die Verfasser von Krimis – weil ihre Fiktionen sich nach einer Zeit erwiesenermaßen in Faktizität verwandeln – mit den alten Propheten gleichzusetzen und ihre Worte als entsprechende Vorwarnungen zu verstehen.“

Die zweite Vermutung lautet:

„Oder man glaubt an keinen Übergang von Fiktion zur Faktizität, weil – und dieser Gedanke dient hier als Begründung – alle sogenannte Fiktion immer schon Faktizität, und zwar eine vorweggenommene, ist. Es gibt nichts absolut Fiktives, schon gar nicht in der Literatur.“

Bleibt die dritte Vermutung:

„Alle Verhältnisse, in die Menschen zueinander treten, sind trotz ihrer großen existenzthematischen Unterschiedlichkeit im Prinzip doch immer wieder dieselben.“

Margwelaschwilis Figur Meinleser ist dieses alles zu philosophisch-spekulativ – wie wohl so manchem Leser. Sein Augenmerk gilt vielmehr seiner Arbeit bei der PKP. Für ihn sind die Bibliothekare, die all diese alten Kriminalfälle aus den Bibliotheken hervorholen, viel wichtiger. Welchem Leser würde Meinleser da nicht aus der Seele sprechen? Eine Liebeserklärung an die Lektüre, an die Fantasie und eine große Hoffnung, dass Kriminalromane vielleicht auch noch in hundert Jahren gelesen werden.

Doch vorher muss natürlich noch der arme, reale Pembry gerettet werden. Ob das gelingt, welche Tricks Romanfiguren sonst noch so auf Lager haben und warum man immer darauf achten sollte, an welcher Stelle man ein Buch zuklappt (oder auch zuschlägt) – alle Antworten gibt es in diesem wunderbar versponnen Bastard von Kriminalroman, der über Genregrenzen hinaus eben auch eine Science-Fiction-Geschichte und eine philosophische Abhandlung über die Macht des Lesens ist. Retrospektive Krimis – das sind jene, bei denen die Polizei immer erst nach dem Mord, also zu spät, kommt – liest man nach „Officer Pembry“ auf jeden Fall mit andern Augen und Ohren, denn wenn man genau hinhört, vernimmt man vielleicht ein Raunen, dass aus den Seiten hervorkommt.

Giwi Margwelaschwili: Officer Pembry. – Berlin : Verbrecher Verlag 2007
ISBN 978-3-935843-90-4

Buch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de » buecher.de

Links
→ Homepage von Giwi Margwelaschwili
→ Porträt bei kulturkueche.de