Treffsicher in der Gimmick-Hölle

vom Krimiblogger

Hells BellsChristiane Geldmacher (Hg.): Hell’s Bells : Kriminalgeschichten

„Hells Bells“ – so nennt sich eine weibliche Coverband der Hardrockband AC/DC. Die Ladys stammen alle aus Deutschland und tun das, was Coverbands so tun: Sie spielen die Lieder ihrer Vorbilder nach. „Hell’s Bells“ – diesmal mit einem Apostroph – nennt sich eine Anthologie von fünfzehn deutschsprachigen Kriminalgeschichten, die von der Wiesbadener Autorin Christiane Geldmacher zusammen gestellt wurde. Und auch hier wird etwas nachgespielt – gute Kriminalgeschichten. Literarische Eigenständigkeit findet sich leider nur in einer der Geschichten – die ist dafür dann aber auch wirklich höllisch gut.

Die vierzehn anderen Geschichten hingegen bewegen sich irgendwo zwischen mehr oder weniger unterhaltsamen Klamauk, sprachlicher Spießigkeit und – im schlimmsten Fall – einem stilistischen Fegefeuer. „Suspense“ sollen laut der Herausgeberin die Geschichten eigentlich bieten und zwar in dem Sinne, wie Patricia Highsmith diesen Begriff verwendete. Doch was hat die große Dame der misanthropischen Kriminalliteratur unter „Suspense“ verstanden? Ein Blick in ihren gleichnamigen Werkstattbericht zeigt auf, warum vierzehn der fünfzehn Geschichten an diesem – überfrachteten – Anspruch scheitern.

„Suspense-Stories sind Geschichten, in denen physische Gewaltanwendung und Gefahr drohen oder tatsächlich stattfinden. Ein weiteres Charakteristikum der Suspense-Story liegt darin, daß sie Unterhaltung – meist in lebhaftem und oberflächlichen Sinne – liefert.“

Dieser recht simplen Definition der Highsmith, die sie den US-amerikanischen Buchhändlern abgeschaut hat, setzt Christiane Geldmacher überfrachteten Existenzialismus entgegen:

„Die geschilderten Ereignisse verweisen auf komplexe Probleme, die weit über die Geschichten hinausweisen. Was zählt, ist die immerwährende Frage: Könnte mir das auch passieren oder Wie weit würde ich gehen?“

Lebhafte Oberflächlichkeit vs. existenzielle Fragen – in diese Konflikt stürzt sich mutig die Herausgeberin, wenn sie mit einem solchen Anspruch an die Zusammenstellung der Kurzgeschichten herangeht. Ein interessanter Ansatz – würden die Geschichten denn tatsächlich über sich hinausweisen. Genau das aber bleibt den meisten versagt. Fast alle Geschichten sind das, was die gute Pat „Masche“- oder „Gimmick“-Geschichten nannte.

„Die Suspense-Kurzgeschichte kann (wie viele Krimis) auf einer ‚Masche‘ aufgebaut sein, einem Kniff bei der Flucht (von irgendwo), auf einer Information, die im allgemeinen nur Ärzte, Juristen oder Astronauten bekannt ist und die den Laien erstaunt und amüsiert.“

Es geht um kuriose Fakten, die einen Keim zu einer Geschichte bilden können. Das kann eben kurzweilig geschrieben werden – bleibt aber in der Regel kaum länger im Gedächtnis hängen und wirkt schon gar nicht über eine Geschichte hinaus. Es geht hier – ähnlich wie bei einem Witz – um gut gesetzte Pointen und straffe Erzählökonomie. Treffsicher nannte man das früher. Sabine Ludwigs „Beutezug“, in dem es um einen diebischen und mörderischen Weihnachtsmann im Kaufhaus geht, ist so eine „Gimmick“-Geschichte. Auch Elke Schröders Verfolgungsstory „Eine runde Sache“ zählt zu dieser Kategorie. Das ist amüsant – mehr aber auch nicht. Man mag am Ende schmunzeln, Fragen nach der eigenen kriminellen Energie löst so etwas aber wohl kaum aus. Zudem schrammen beide Geschichten dicht an Lese-Déjà-Vus vorbei.

Ein höllisch guter Text

Noch deutlicher wird dies in Arthur Gordon Wolfs Serienkiller-Story „Jack is back“. In einer hölzernen Prosa wird hier die langweilige Geschichte vom blutgierigen und mordenden Polizisten heruntergeleiert. Als sei dieses Motiv nicht schon spätestens seit Agatha Christie ein alter Hut. Aber es geht noch schlimmer. Ausgerechnet die erste Geschichte des Bandes ist zugleich auch die schlechteste. Sebastian Spenglers Story „Der Wald reicht bis ans Haus“ versucht sich in einer literarischen Spielerei, in dem der Erzähler ein kleines Kind namens Mariah penetrant anspricht und vom fernen Vater erzählt, der irgendwo in den verschneiten Wäldern Kanadas seinem gefährlichen Job nach geht. Solche grausigen Schreibübungen sollten lieber in unzugänglichen Schubladen versteckt bleiben oder gleich im (elektronischen) Papierkorb landen.

Dennoch darf man sich davon nicht abschrecken lassen. Wer weiterblättert stößt auf die zweite Geschichte: Norbert Horsts wundervolle Einbrechergeschichte „Nah“. Hier ist sie, die kriminalistische Hölle. Denn Horsts Text schafft das, was den anderen Autorinnen und Autoren versagt bleibt: Sein knapp formulierter Text wird aus zwei Perspektiven – Opfer und Täter – erzählt und lässt der Phantasie des Lesers genügend Raum, steuert dabei unerbittlich auf ein nervenaufreibendes Ende zu. Die hier geschilderte Bedrohung springt auf den Leser über. Das ist eben nicht nur Suspense – das ist kunstvoller Thrill, vorgetragen mit einer eigenen Stimme. Denn auch darauf hat schon die Highsmith hingewiesen:

„Mörder, Psychopathen, nächtliche Herumstreuner; das sind alles alte Hüte, wenn man nicht auf ganz neue Art darüber schreibt.“

Geglückt ist das bei „Hell’s Bells“ nur einem: Norbert Horst. Der Rest sind Coverversionen.

Christiane Geldmacher (Hg.): Hell’s Bells : Kriminalgeschichten. – Leipzig : Poetenladen, 2008
ISBN 978-3-940691-02-6

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