„Politisch korrekt geht es da natürlich nicht immer zu“

vom Krimiblogger

Ein Interview mit der Herausgeberin und Lektorin Lisa Kuppler zum Start der „Hard Case Crime“-Reihe in deutscher Übersetzung
Von Ludger Menke

Sie ist eine der innovativsten Krimireihen der letzten Jahre: Über 40 Bände sind in den USA in der Krimireihe „Hard Case Crime“ bislang erschienen. Gnadenlose Gangster, eiskalte Killer und verführerische Racheengel werden in diesen Hardboiled-Krimis wieder zum Leben erweckt. Vergessene Schätze der Pulp-Literatur finden sich dort ebenso wie aufregende, neue Texte junger Krimiautoren. Alles verpackt in bunte Pulp-Cover. Endlich, möchte man sagen, ist „Hard Case Crime“ auch in Deutschland angekommen. Der Rotbuch Verlag hat sich die Lizenz für die Reihe mit Kultpotential gesichert und im März 2008 die ersten drei Titel in deutscher Übersetzung vorgelegt. Zum Start der „Hard Case Crime“-Reihe hatte ich die Möglichkeit, der Lektorin und Herausgeberin Lisa Kuppler einige Fragen zur Reihe zu stellen.

krimiblog.de Liebe Lisa,

Lisa Kuppler: Hallo, Ludger!

krimiblog.de Charles Ardai und Max Phillips haben 2004 in den USA die Krimireihe „Hard Case Crime“ ins Leben gerufen und dafür reichlich Lob und Aufmerksamkeit bekommen. So widmete etwa das „Time Magazin“ den beiden Gründern ein längeren Artikel. Nun, fast vier Jahre später, kommt „Hard Case Crime“ in den deutschen Sprachraum. Wie kam es dazu? Und was genau ist Deine Aufgabe?

Lisa Kuppler: Die Idee, dass eigentlich jemand „Hard Case Crime“ auch als deutsche Edition herausbringen müsste, kursiert schon eine ganze Weile in deutschsprachigen Krimikreisen. Durch den Wechsel von Rotbuch zur Eulenspiegel-Verlagsgruppe fand sich dann ein Verleger, der den Mut hatte, in „Hard Case Crime“ zu investieren.

Von mir kam die Idee, dass „Hard Case Crime“ eigentlich zu Rotbuch muss. In den frühen Achtzigerjahren ist Rotbuch Krimi angetreten, um dem deutschen Lesepublikum den französischen Noir und den anglo-amerikanischen Hardboiled nahezubringen, gleichzeitig war man immer auf der Ausschau nach so etwas wie einem deutschen Hardboiled. Perfekt in diese Tradition passt das Editionsprojekt „Hard Case Crime bei Rotbuch.“ Für mich ist Rotbuch die ideale Heimat für HCC auf deutsch. So habe ich dem Verleger und dem Hauslektor „Hard Case Crime“ vorgestellt und zu meiner Begeisterung waren sie sofort Feuer und Flamme.

Meine Aufgaben sind u. a. die Titelauswahl (in Absprache mit dem Rotbuch Vertrieb), die Organisation und das Lektorat der Übersetzungen, und ich bin als Expertin für HCC Ansprechpartnerin für die Presse.

krimiblog.de Mit dem Roman „Abzocker“ von Lawrence Block wurde vor gut vier Jahren auch in den USA die „Hard Case Crime“-Reihe eröffnet, die anderen beiden Romane, die ihr jetzt in der Übersetzung veröffentlicht, wurden allerdings erst später in der HCC-Reihe publiziert. Es wird also keine Eins-zu-eins-Veröffentlichung in der Reihenfolge der US-amerikanischen Reihe geben?

Lisa Kuppler: Nein, wir folgen bei Rotbuch nicht der US-amerikanischen Reihenfolge der Veröffentlichungen von HCC. Charles Ardai bringt ja jeden Monat einen neuen Titel heraus, wir machen 2008 „nur“ sieben. Das wird sich aber 2009 ändern.

Für mich war sofort klar, dass „Abzocker“ (engl.: „Grifter’s Game“) von Lawrence Block auch bei der deutschen Edition von HCC den Reihenstart machen muss. Wie Charles halte ich Lawrence Blocks Krimis für etwas vom Allerbesten, was das Genre zu bieten hat. Trotzdem ist in Deutschland kein einziger Block-Titel auf dem Markt. Dabei gibt es dieses Jahr sogar ein großes Block-Jubiläum, er wird achtzig. Vom kleinen Shayol Verlag ist 2008 schon „Verluste“ (engl.: „Everybody Dies“) erschienen, nun kommt HCC mit einem Block-Titel aus dem Jahr 1961. Eigentlich ist „Abzocker“ die klassische Geschichte eines Gigolos, der reiche Frauen abzockt, bis er eines Tages an die Falsche gerät. Doch bei Block wird aus dieser Geschichte ein grandioses Drama aus Liebe, Betrug, Mord und Abhängigkeit. Wenn man viele Krimis liest, dann ahnt man ja meistens schon, wie solche Bücher ausgehen, aber Block dreht das Ende noch einmal in eine ganz andere Richtung. Absolut faszinierend.

Bei Allan Guthries „Abschied ohne Küsse“ (engl.: „Kiss her goodbye“) war ausschlaggebend, dass der Autor in der Englisch lesenden, deutschen Krimiszene schon sehr geschätzt wird. Rotbuch hat inzwischen auch die Rechte der anderen Titel von Allan Guthrie eingekauft, diesen Herbst wird „Two-Way Split“ in deutscher Übersetzung erscheinen. Und zwar nicht als HCC-Titel, sondern ganz normal als „Rotbuch Krimi.“

Für die Auswahl von „Flop“ (engl.: „Bust“) von Ken Bruen und Jason Starr hat eine Rolle gespielt, dass Jason Starr als Autor in Deutschland schon etwas bekannter ist. Und mir war wichtig, dass die ersten drei Titel auch zeigen, welche Vielfalt von sehr unterschiedlichen Krimitypen sich heutzutage hinter dem Label „Hardboiled“ verbirgt. „Abschied ohne Küsse“ folgt eher dem traditionellen Genrebegriff, „Flop“ sprengt Genrekonventionen im Tarantino-Stil, „Abzocker“ ist fast schon ein Liebesroman.

Sexy Frauenkörper gehören dazu

krimiblog.de Was mir auffällt: Während Pulp, Noir und Hardboiled bei Filmen auch in Deutschland relativ gut funktioniert – man denke zum Beispiel an Filme von Quentin Tarantino, den Du ja auch schon erwähnt hast – scheinen diese Subgenres im Buchbereich bei den deutschen Lesern nicht so recht anzukommen. Was glaubst Du, woran das liegt?

Lisa Kuppler: Ich bin nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass Pulp, Noir und Hardboiled im Film ankommt, als Buch aber nicht. Mir scheint es eher so zu sein, dass verschiedene Zielgruppen entweder auf Hardboiled abfahren, andere eben gar nicht, egal ob Film oder Buch. Die „Zeit“ zum Beispiel hat Tarantinos Kill Bill in einer unsäglichen Kritik verrissen. Doch die „Zeit“ ist eben nicht mehr Leitmedium, sondern bedient nur eine ganz bestimmte Leserschaft.

Wir wollen mit HCC ganz verschiedene Lesergruppen erreichen: Leute, die auf die Groschenroman-Ästhetik des Hardboiled stehen, Leute, die Spaß an härteren, großstädtischen Krimis haben, Leute, die einfach gerne mal wieder einen deftigen, spannenden Krimi lesen wollen.

krimiblog.de Viele Noir-Fans erinnern sich noch mit Wehmut an die Noir-Reihe von Martin Compart bei DuMont, die mit schwarzen Texten und schwarzen Covern glänzte. „Hard Case Crime“ kommt nun optisch ganz anders daher: Bunt, grell, trashig und eben auch sehr sexy – oder vielleicht auch sexistisch? Schließlich ist auf fast allen Ausgaben der US-amerikanischen Reihe immer eine Frau zu sehen, oft leicht bekleidet.

Lisa Kuppler: Auf dem Cover von „Abschied ohne Küsse“ ist eine leicht bekleidete Frau zu sehen, die gerade mit dem Baseballschläger einen Typen niedergeschlagen hat. Ist das sexistisch? Ich finde nicht.

Die HCC-Cover zitieren die Cover der Pulp-Reihen aus den Fünfziger- und Sechziger Jahren. Es geht um eine bestimmte Ästhetik von Taschenbüchern, die früher als Schmutz & Schund galten und inzwischen als „Literatur“ wiederentdeckt werden. Das ist nicht neu, nur hatte vor HCC noch niemand die Idee, eine ganze Krimireihe in dieser Art von Pulp-Ästhetik herauszubringen, mit einer Mischung aus Wiederauflagen von „verlorenen Perlen“ und zeitgenössischen Hardboiled-Titeln. Pulp-Cover im Hardboiled – übrigens auch bei der Noir-Reihe von DuMont – arbeiten mit Motiven von Sex und Gewalt. Sexy Frauenkörper gehören dazu, das ist Markenzeichen.

Ich bin Feministin, wie ja überhaupt das verlegerisch Reizvolle an Rotbuch Krimi immer schon war, dass hier Feministinnen vermeintliche Männer-Krimis herausbringen. Mich interessiert, wie in diesen Krimis Männlichkeit und das Geschlechterverhältnis dargestellt wird. Politisch korrekt geht es da natürlich nicht immer zu. Doch sowohl in „Abzocker“ wie in „Flop“ „gewinnt“ am Ende die Frau – auf ganz unterschiedliche Weise, einmal als Opfer (Block), einmal als die Person, die unabhängig vom Geschlecht am radikalsten ihre Interessen durchsetzt (Bruen/Starr). Und in „Abschied ohne Küsse“ wird in so eindrücklichen Worten männliche Impotenz beschrieben, wie ich es noch selten – weder im Hardboiled noch sonst – gelesen habe.

krimiblog.de Was ebenfalls ins Auge fällt, das bei HCC kaum Frauen als Autoren vertreten sind – ich glaube, bislang nur Christa Faust – es im angloamerikanischen Raum aber immer mehr Frauen gibt, die harte bzw. Noir-Literatur schreiben – etwa Megan Abbot, Sara Gran oder Vicki Hendriks. Ist HCC eine Männerdomäne?

Lisa Kuppler: Bis jetzt ist HCC ganz klar eine Männerdomäne, und ich bin sehr froh, dass mit Christa Faust endlich auch die erste Autorin bei HCC erscheint. Ihr „Money Shot“ wird diesen Herbst auf Deutsch bei Rotbuch herauskommen.

Warum so wenige Frauen bei HCC erscheinen, hat denke ich, nichts damit zu tun, dass der Herausgeber ein Macho wäre, sondern damit, dass nur wenige Krimiautorinnen – du nennst ein paar – Hardboiled wirklich als GENRE schreiben. In den Achtzigerjahren haben viele Autorinnen den Hardboiled feministisch besetzt, sie wollten das männliche Krimigenre „Hardboiled“ feministisch unterwandern – mit toughen Privatdetektivinnen, weiblich dominierten Orten und Fällen, bei denen es oft um Gewalt gegen Frauen ging. Inzwischen sind die super-toughen weiblichen PIs mega-out, und die Krimiautorinnen interessieren sich für komplexere Figuren und Fälle. Doch Frauen, die wirklich Hardboiled als Genre schreiben, gibt es immer noch wenige.

Herausforderung „Wise-Cracking“

krimiblog.de Bei Eurem flotten Eröffnungsdreier gibt es einen älteren Roman von Lawrence Block und zwei aktuellere Texte, nämlich „Abschied ohne Küsse“ vom schottischen Autor Allan Guthrie und die viel gelobte Zusammenarbeit „Flop“ aus der Feder von Ken Bruen und Jason Starr. Während Block in Kennerkreisen kein Unbekannter ist, sind Guthrie, Bruen und Starr hierzulande kaum bekannt. Wird die „Hard Case Crime“-Reihe auch ein Türöffner nach Deutschland für „neue“ ausländische Autoren?

Lisa Kuppler: Für Autoren wie Allan Guthrie und Ken Bruen wäre es sicher schwierig, als Einzeltitel auf dem deutschen Markt zu landen. Da helfen auch die diversen Krimipreise nichts, die sie gewonnen haben – der Buchmarkt schielt zurzeit fast nur nach möglichen Bestsellern, und Hardboiled ist gerade nicht wirklich ein angesagtes Genre.

Mit HCC wollen wir die Krimileserinnen und -leser auch ein wenig zum Hardboiled verführen, mit den bunten, trashigen Covern, mit der Mischung aus exzellenten zeitgenössischen Krimis und Titeln von bekannten Autoren wie eben Block, Crichton, Spillane und Westlake.

Ich hoffe sehr, dass durch „Abschied ohne Küsse“ die deutschen Krimileser Geschmack an Allan Guthrie finden und auch die Titel lesen, die Rotbuch außerhalb der HCC-Reihe veröffentlicht.

krimiblog.de Mit welchen Übersetzern arbeitet Ihr zusammen und wird jeder Autor „seinen“ Übersetzer bekommen?

Lisa Kuppler: Ich habe Übersetzerinnen und Übersetzer gewinnen können, die sich mit Krimis und speziell mit dem Hardboiled auskennen. Es ist nicht einfach, Hardboiled zu übersetzen: Fast immer spielen diese Krimis in einer speziellen „Szene“, die einen bestimmten Slang spricht und ein subkulturelles Vokabular benutzt. Außerdem muss es ein Hardboiled-Übersetzer schaffen, den speziellen Ton, das so genannte „Wise-Cracking“ zu treffen, den die Helden im Hardboiled sprechen. Das ist eine ziemliche Herausforderung. Und man darf einen Hardboiled natürlich in der Übersetzung nicht „schönen“: Die Sprache des Hardboiled ist dreckig, anstößig und oft Straßenslang, und das muss im Deutschen rüberkommen, ohne aufgesetzt zu wirken.

Allan Guthries „Abschied ohne Küsse hat Gerold Hens übersetzt, der für Rotbuch schon Jeffery Deaver und Bill James übersetzt hat.

Bei Lawrence Blocks „Abzocker“ haben wir eine alte Übersetzung von Ludwig Nagel aus den frühen 70er Jahren gekauft, die ich dann nach der Vorlage des HCC-Originals überarbeitet habe.

Ken Bruen und Jason Starrs „Flop“ hat Richard Betzenbichler übersetzt, den viele als den Herausgeber der Reihe „“Funny Crimes“ beim Shayol Verlag und als Übersetzer von Joe R. Lansdale kennen werden.

Für Christa Fausts „Money Shot“ wollte ich unbedingt eine Übersetzerin gewinnen, der Titel wird von Almuth Heuner übersetzt, ehemalige Präsidentin der Mörderischen Schwestern und Frauenkrimi-Fachfrau, die unter anderem P. M. Carlson für Argument/Ariadne übersetzt hat.

krimiblog.de Momentan veröffentlichen Eure US-amerikanischen Kollegen bei HCC fast monatlich einen neuen Titel – was erwartet uns deutsche Leser und Leserinnen denn im Herbst?

Lisa Kuppler: Im Herbst werden vier HCC-Titel bei Rotbuch erscheinen:

  • Richard Aleas: „Das Mädchen von einst“ (engl.: „Little Girl Lost“)
  • Christa Faust: „Hardcore Angel“ (engl.: „Money Shot“)
  • Mickey Spillane: „Das Ende der Strasse“(engl.: „Dead Street“)
  • Donald E. Westlake: „361“ (engl.: „361“)

krimiblog.de Vielen Dank, liebe Lisa, für das Interview und natürlich einen durchschlagenden Erfolg für „Hard Case Crime“.

Lisa Kuppler: Ich habe zu danken! Und viel Vergnügen dir und allen Leserinnen und Lesern mit den deutschen HCCs!

Anmerkung: Das Interview wurde im März 2008 per E-Mail geführt
Foto Lisa Kuppler: AE Schindler

Der flotte Eröffnungsdreier:
Allan Guthrie: Abschied ohne Küsse / Übersetzt von Gerold Hens. – Berlin : Rotbuch, 2008
ISBN 978-3-86789-024-3
(Hard Case Crime; 001)
Originalausgabe: Allan Guthrie: Kiss her goodbye.

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Lawrence Block: Abzocker / Übersetzt von Ludwig Nage. – Berlin : Rotbuch, 2008
ISBN 978-3-86789-022-9
(Hard Case Crime; 002)
Originalausgabe: Lawrence Block: Grifter’s Game.

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Ken Bruen & Jason Starr: Flop / Übersetzt von Richard Betzenbichler. – Berlin : Rotbuch, 2008
ISBN 978-3-86789-023-6
(Hard Case Crime; 003)
Originalausgabe: Ken Bruen & Jason Starr: Bust.

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Links
→ hardcasecrime.de – Internetseite zur deutschen Reihe
→ hardcasecrime.com – Internetseite zur US-amerikansichen Reihe