E.

vom Krimiblogger

Hamburg, Ellmenreichstraße, direkt neben dem Deutschen Schauspielhaus. Ein Theater mit angeschlossenem Straßenstrich. Während drinnen aufgebaut, geprobt und Leben imitiert wird, stehen hier die Frauen, die anschaffen, direkt neben dem Bühneneingang. Sie stehen hier Tag für Tag, morgens die älteren Ladys, der “Hausfrauenstrich“, abends sind es jüngere, hübschere Mädels. Drogenabhängige sieht man selten, das Drogenelend spielt sich eher in der Bremer Reihe ab. Hin und wieder stehen in der Ellmenreichstraße auch Transen rum. Die sind ein bisschen aggressiver als die anderen Mädels. Hauchen die “echten“ Mädchen ein “Hast Du Zeit?“ allein gehenden Männern entgegen, werden die Transen schon mal handgreiflich. Wenn Du sie nicht beachtest, wechselt die flötende, weiche Stimme in ein rotzendes, männliches Fluchen. Schimpfwörter in einer undefinierbaren Sprache fliegen Dir hinterher.

E. treffe ich meistens am Samstag. Sie ist eine Art “Edelprostituierte“. Gepflegte Erscheinung, kostspielige Klamotten, schicker Haarschnitt. “Du, ich mach das für mich. Aber hier ist sowieso tote Hose, ist doch alles heruntergekommen.“ E. weiß, was hier zwischen Schauspielhaus, Käseladen und Galerie “Hosenstall“ passiert. “Siehst Du die da gegenüber? Das ist so ein hübsches Mädel, der fiese Typ neben ihr ist ihr Zuhälter.“ Mein Blick fällt auf ein junges Pärchen auf der anderen Straßenseite. Beide sind offenbar am Streiten. “Geh‘ zur Polizei.“ hab‘ ich ihr immer wieder gesagt.“ erklärt E. “Der Typ schlägt sie. Das weiß hier jeder. Das ist so eine Drecksau. Selbst die Bullen wissen das. Aber solange sie nichts sagt, können die nichts tun – behaupten die Bullen jedenfalls.“

E. selbst hat gerade einen Herzinfarkt hinter sich. “Mir geht’s wieder gut. Ich will nicht als Schluck Wasser in der Kurve im Altenheim enden. Das ist schrecklich. Soll ich den ganzen Tag Fernseh‘ glotzen? Von Pflegern hin und her geschoben werden? Nee, wenn es soweit ist, will ich einen guten Abgang. Aber vorher nochmal richtig Party.“ E. lächelt. “Um mich kümmert sich doch eh‘ keiner. Also kümmere ich mich um mich selbst. Heute hab‘ ich schon einen weg gesteckt“ – E. kichert wie ein kleines Mädchen – “Jetzt steh‘ ich hier noch für mich. Ich will mir ein schickes Oberteil holen, außerdem ist Winter, es ist schweinekalt. Heute Abend will ich mit ’ner Freundin essen gehen – dafür brauche ich noch einen.“

“Schöne Weihnachten und bis bald.“ murmle ich ihr zu und gehe in Richtung Hansaplatz. Kaum bin ich ein paar Meter von ihr weg, ruft sie hinter mir her: “Einer geht noch, einer geht noch rein.“ – E. lacht laut. So laut, dass sich ein paar Penner umdrehen. Lautes Lachen sind sie nicht gewöhnt. Hört man selten in der Ellmenreichstraße.