„The finest thing“

vom Krimiblogger

Joseph Hansen Zur Erinnerung an Joseph Hansen an seinem 82. Geburtstag

„Das Foto von Roger Baker, aufgenommen 1980 in London, mag ich. Es zeigt einen glücklichen Mann.“ – so beschrieb Joseph Hansen das abgebildete Schwarzweiß-Porträt in einer E-Mail. Das Foto wurde aufgenommen als Joe – wie er von Freunden und Bekannten genannt wurde – 57 Jahre alt war. Damals konnte er auf erste Erfolge als Autor zurückblicken. Ein Jahr zuvor war sein fünfter Dave-Brandstetter-Krimi „Skinflick“ (dt. Verkaufte Haut / Nabelschau) erschienen, den Kritiker für einen der Besten aus der Serie halten. Die Brandstetter-Krimis haben Hansen bekannt, wenn auch nicht berühmt gemacht. Für die Anerkennung als Autor musste er lange kämpfen, finanzielle Durststrecken überstehen und immer wieder, auch literarisch, Kompromisse eingehen.

Joseph Hansen war ein Junge vom Land. Am 19. Juli 1923 in Aberdeen, South Dakota, geboren, war Joseph das dritte und letzte Kind seiner Eltern Alma und Henry Hansen. Sein Vater, Kind norwegischer Einwanderer, bestritt den Lebensunterhalt seiner Familie mit einem Schuhgeschäft. Zwei Geschwister, die erstgeborene Tochter Louise und der Bruder Bob gehörten ebenfalls zur Familie. Als 1932 die große Depression in den USA wütete, musste Josephs Vater sein Geschäft schließen. Für die Familie begann eine Odyssee: Drei Jahre lebten sie in Minneapolis mit wechselnden Wohnsitz, oft in schäbigen Apartments oder Gästezimmern. 1936 erfolgte dann der Umzug nach Kalifornien. Wenn die Familie in Minneapolis schon hungern musste, im sonnigen Kalifornien brauchten sie wenigstens nicht zu frieren, erinnerte sich Joseph.

Nach einem kurzen Aufenthalt bei der mittlerweile verheirateten Schwester siedelte Joseph mit seinen Eltern nach Pasadena über. Hier verbrachte er seine Jugendjahre. In seinem Chorleiter Raymond Hill fand der junge Joseph einen ersten Mentor, der seine Begabung für Musik förderte. Eine tief-religiöse Phase sowie die Entdeckung der eigenen Homosexualität bestimmten diese Jahre. Die Verbindung zwischen Sexualität und übersteigerter Religiosität ist ein Thema, das Joseph später als Autor in einigen seiner Romane aufarbeiten sollte.

Die Schule der Freunde

Neue, weltgewandte Freunde, die Joseph ab 1939 auf dem Pasadena Junior College kennen lernte, führten ihn, den Landburschen, in die Welt der Literatur ein. Zusammen verbrachten sie Nachmittage am Strand, redeten über Gott und die Welt. Joseph schrieb für die Schülerzeitung und trat in Schulaufführungen auf. Mit einem Aushilfsjob in einer Bibliothek verdiente er sich ein kleines Taschengeld, das er vor allem in Bücher anlegte. Literatur als Stütze bei der Selbstfindung: Ralph Waldo Emersons Essay „Selbstvertrauen“ und Walt Whitmans „Grashalme“ halfen dem jungen Joseph, die Ängste vor dem eigenen Schwulsein abzubauen.

In Robert Ben Ali, einem Regisseur und späteren Schauspieler, fand er seinen ersten schwulen Freund. Joseph schrieb über ihn: „Er war mehr als ein Liebhaber, er war Mentor, Berater, Tröster, ein faszinierender Redner, der mir die Türen in die Welten von Homer und Sokrates, von James Joyce und Jean Cocteau, von Rimbaud und Baudelaire, in die Musik von Eric Satie und Igor Stravinsky (…) öffnete. Mit meinen Freunden habe ich lebenslang Glück gehabt. Sie waren meine Universität – die einzige die ich hatte und haben wollte.“

Drei Jahre dauerte die Beziehung zu Ben Ali. 1943 zog Joseph Hansen nach Hollywood, nachdem er eine Anstellung in einer Buchhandlung gefunden hatte. Zunächst sahen sich die beiden Männer an jedem Wochenende, doch dann zerbrach ihre Beziehung. Hansen lernte seine spätere Frau kennen. „An einem Samstagmorgen kam eine junge Frau mit dem Namen Jane Bancroft in den Buchladen, sah mich, als ich mit einen Arm voll Bücher den Gang hinaufging und beschloss – aus Gründen die mir bis heute verborgen geblieben sind – das ich der Junge für sie bin.“ Kurze Zeit später, im August 1943, heirateten Jane und Joseph. Ein kleines Apartment in Hollywood war ihr erstes Zuhause. Zur gleichen Zeit konnte Joseph erste, bescheidene Erfolge als Autor verbuchen und einen Artikel an eine Zeitschrift verkaufen. Im Juli 1944 wurde Tochter Barbara geboren.

Eine rätselhafte Frau

Lost on Twilight Road Erste Erzählungen, die Hansen verfasst hatte, wurden von Verlagen und Zeitschriften abgelehnt. Um seine junge Familie über Wasser halten zu können nahm er verschiedene Jobs an. Er arbeitete als Folk-Sänger, trat im Radio auf und schlug sich als Lexika-Verkäufer durch. Eine Ganztagsstelle als Schreibkraft bei Technicolor sorgte schließlich für das bescheidene Auskommen. 1951 bezog die Familie ein kleines Haus in Hollywood Hill, ein Geschenk von Janes Mutter. 1956 folgten weitere Veröffentlichungen: Die Zeitschrift „New Yorker“ kaufte mehrere Gedichte von ihm. Ein brauchbares Zubrot, das zum Überleben alleine nicht gereicht hätte. Also vermieten die Hansens Zimmer an eine Freundin und ihre Kinder.

Gemeinsam siedelten sie 1957 in ein größeres Haus im Südwesten von Los Angeles um. Bis zum Tode seiner Frau Jane 1994 lebte Joseph Hansen dort. Seinen Job bei Technicolor hängte Hansen 1961 an den Nagel. Er wollte sich wieder verstärkt dem Schreiben widmen. Zu dieser Zeit arbeitete er als Autor, später als Herausgeber, der Zeitschrift „ONE“, einem Magazin der frühen Schwulenbewegung. Gründer und erster Herausgeber war Don Slater, über den Hansen später die kurze Biografie „A Few Doors West of Hope – The Life and Times of Dauntless Don Slater“ verfasste. Um Ärger mit den Behörden zu vermeiden legte sich jeder Autor des Magazins ein Pseudonym zu. So wurde aus Joseph Hansen James Colton. Unter diesem Pseudonym schrieb er Erzählungen, 1964 folgte dann die erste Buchveröffentlichung. „…ich schickte das zerfledderte Manuskript an Les Aday, der (…) billige Pornoheftchen herausgab. Er gab dem Roman einen rührseligen Titel, Lost on Twilight Road, wählte – rätselhafterweise – für das Cover eine nackte Frau, und hatte die Nerven, das Buch zu drucken. So war ich, wenn auch in bescheidenem Rahmen, ein veröffentlichter Buchautor.“

In den kommenden Jahren schrieb Hansen unter seinem Pseudonym James Colton acht weitere Bücher. Wenn auch literarisch eher minderwertig und der Geldnot gezollt, so zeichnen sich in diesen frühen Romanen doch schon Themen ab, die auch in Hansens späterem Werk von Bedeutung waren. Etwa Liebesbeziehung zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Unter seinen James-Colton-Büchern findet sich auch sein erster Krimi „Known Homosexual“, dem er auf Anweisung seines Verlegers, Sexstellen hinzufügen musste. In späteren Ausgaben des Romans (1977 unter dem Titel „Stranger To Himself“, 1984 unter dem Titel „Pretty Boy Dead“) konnte Hansen diese Stellen wieder herausstreichen.

Sensationslüstern oder gar nicht

Fadeout - UK Ausgabe1970 erschien „Fadeout“, der erste Fall mit dem sympathischen, eleganten und scharfsinnigen Versicherungsdetektiv Dave Brandstetter aus Los Angeles. Brandstetter ist schwul, was seinem Autor den Ruf einbrachte „Vorreiter der schwulen Kriminalliteratur“ zu sein. Ob dieses Urteil gerechtfertigt ist, mag dahin gestellt bleiben – schwule Hauptcharaktere gab es im Kriminalroman schon vor Dave Brandstetter – die zentrale Innovation, die Hansen einleitete, ist die realistische Darstellung von Homosexualität im populären Genre Krimi.

„Homosexuelle wurden in Kriminalromanen gemeinhin schäbig behandelt – verleumdet, bemitleidet, im besten Falle herablassend. Das ist weder gerecht noch ehrlich. Als ich 1967 begann „Fadout“ zu schreiben, wollte ich einen guten, schlüssigen Krimi schreiben, doch ich wollte auch einige Dinge gerade rücken. Was die Allgemeinheit über Homosexuelle sagt ist falsch. So hatte ich Freude dran, in meinem Roman Klischees und Stereotype auf den Kopf zu stellen. Es war einfach. Den Rezensionen entnahm ich, das es funktionierte.“

Hansen ist kein Prediger oder Moralist – er ist ein Aufklärer. Sein schwuler Brandstetter ermöglicht der breiten Masse heterosexueller Leser klare und eindeutige Einblicke in das Leben von Schwulen. Das Genre Krimi mit seinen Spannungselementen sorgt dabei für einen leichten Zugang. Die Aussage, die er durch Dave Brandstetter trifft, war allerdings für die damalige Zeit welterschütternd: Homosexuelle sind nicht anders als andere Menschen auch. Klingt simpel, war damals jedoch ein Affront: Ganze drei Jahre brauchte Hansen, bis sein Buch „Fadeout“ veröffentlicht wurde. „Verleger reagierten misstrauisch gegenüber meinem Versuch, mich einem Thema nüchtern und selbstbewusst zu nähern, das nach allen Maßstäben sensationslüstern oder gar nicht behandelt werden sollte.“

Der Wahrheit verpflichtet

Fadout NeuausgabeTrotz der Anfänge einer Schwulenbewegung, trotz der „Stonewall“-Unruhen von 1969 – Homosexualität war immer noch ein Tabuthema. Brandstetter verleiht Schwulen im Krimi zum ersten Mal ein echtes und ehrliches Gesicht. So gehörte auch eine gewisse Portion Mut dazu, einen solchen Roman 1970 zu veröffentlichen. Es war Joan Kahn, legendäre Herausgeberin der Krimis beim großen New Yorker Verlag Harper & Row, die diesen Mut aufbrachte. Hansen gelang mit „Fadeout“ der literarische Durchbruch. Die Kritiken waren positiv, doch das Buch verkaufte sich schleppend. Zudem setzten bei Hansen Zweifel an seiner Schreibfähigkeit ein. „Die Arbeit an „Death Claims“ (Anm.: Der zweite Dave-Brandstetter-Krimi) ging langsam voran, doch schließlich zeigte es sich, dass ich mir keine Sorgen um den Aufbau der Geschichte machen musste. Ich hatte den Dreh raus. Wofür ich kein Gespür hatte, war Geld damit zu verdienen.“ Finanziell erfolgreicher als seine ersten Brandstetter-Krimis waren zwei „Gothic-Novels“, die unter dem Pseudonym Rose Brock veröffentlicht wurden: „Tarn House“ von 1971 und „Longleaf“ aus dem Jahre 1974.

Doch Hansen blieb seiner Figur Brandstetter und seiner, wie er es nennt, „Verpflichtung gegenüber der Wahrheit“ treu. Bis 1991 erschienen insgesamt zwölf Brandstetter-Romane und ein Band mit Erzählungen. Auffällig ist dabei nicht nur Hansens Darstellung der Homosexualität, seine knappe, unprätentiöse Prosa in der Tradition der „hardboiled School“, sein kultivierter Realismus, seine geschliffene und ironischen Dialoge, die das Erzähltempo der Romane vorgeben – Hansen hat auch ein Gespür für gesellschaftliche und politische Themen. Ob religiöser Fanatismus („Skinflick“, 1979), Aids („Early Graves“, 1987) oder Konfrontationen unterschiedlicher Kulturen („Obedience“, 1988) – in seinen Brandstetter-Romanen finden sich diese Themen aufbereitet. Im letzten Band der Reihe, „A Country of Old Men“ (1991, 1992 ausgezeichnet mit dem Lambda-Award), stirbt der mittlerweile über 70 Jahre alte Brandstetter einen Alterstod. Hansen führt dafür mehrere Gründe an: Er hatte alles gesagt, was es zu Brandstetter zu sagen gab, außerdem wäre es unrealistisch, einen solchen alten Mann noch auf Verbrecherjagd zu schicken.

Von Schauspielern und Schriftstellern

Neben seinen Brandstetter-Romanen hatte Hansen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bereits an anderen Themen gearbeitet. Zudem gab er Schreibkurse, unter anderem an der UCLA, und leitete Workshops. 1982 erschien „Backtrack“, ein Krimi außerhalb der Brandstetter-Reihe, geschrieben in der Ich-Form. Darin erzählt Joseph Hansen die Geschichte des jungen Alan, der die Umstände des angeblichen Selbstmords seines Freundes Eric Tarr, einem Schauspieler, klären will. Hansen hatte zunächst Schwierigkeiten, einen Verlag für die Veröffentlichung zu finden. Es folgten weitere Romane, darunter „Job#s Year“ (1983), den Hansen als sein wichtigstes Buch betrachtet. Wesentlich stärker als in seinen Brandstetter-Romanen arbeitet Hansen hier eigene, biografische Aspekte auf. Er erzählt die Geschichte des erfolglosen Schauspielers Oliver Jewett, der am Sterbebett seiner Schwester sein bisheriges Leben Revue passieren lässt. Der Roman ist ein bedrückendes, stilles, gleichzeitig aber auch ironisch-gebrochenes Porträt.

1988 veröffentlichte Hansen einen Band mit Erzählungen, die eine Mischung aus Western und Krimi darstellen. „Bohannon’s Book“ bildet den Auftakt zu einer Reihe um den Ex-Sheriff Hack Bohannon. Die Erzählungen sind vor allem Erinnerungen an Hansens Kinderjahre und eine Hommage an die frühen Westernhelden. 1993 folgte mit „Living Upstairs“ schließlich der Auftakt zu einer „Coming-of-Age“-Reihe um den jungen, angehenden Schriftsteller Nathan Reed. Die Bände „Jack of Hearts“ (1994) und „The Cutbank Path“ (2002) gehören ebenfalls zu dieser Serie, die einen seltenen und lebendigen Einblick in das schwule Leben der 40er und 50er Jahre ermöglichen. Eine Thematik, die bislang kaum literarisch bearbeitet wurde, in Hansen findet sie einen würdigen und glaubhaften Chronisten.

Nach dem Tod seiner Frau Jane 1994 und einer schweren Erkrankung lebte Hansen seit 1995 verarmt bei Schulfreunden in Laguna Beach. Hoffnungen auf den Verkauf von Film- und Fernsehrechten für seine Dave-Brandstetter-Krimis keimten zwar immer wieder auf, blieben aber für ihn letztlich Illusionen. Dennoch gab Hansen – von seiner Lungenkrankheit schwer gezeichnet – nicht auf: Neben seiner Arbeit an einem weiteren Nathan-Reed-Roman veröffentlichte Hansen 2002 den Essay „Flapjacks“ in der von Bruce Shenitz herausgegebenen Anthologie „The Man I Might Become: Gay Men Write About Their Fathers“. Als wacher und kritischer Begleiter aktueller Ereignisse zeigt sich Hansen auch in seinem Weblog, das er bis kurz vor seinem Tode führte. In einem Rundschreiben an einige Freunde und Bekannte schrieb Hansen im Dezember 2003 „I thought that to be a writer was the finest thing a mortal could be. I’ve long since learned the world doesn’t necessarily concur.“

Am 24. November 2004 starb Joseph Hansen an den Folgen eines Herzinfarktes in Laguna Beach.

– leicht überarbeitete Archiv-Fassung-