Neulich im Krimi-Camp

vom Krimiblogger

Liebe Lesende,

gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, die deutsche Krimiszene gleiche mehr diesem seltsamen australischen Dschungelcamp als einer seriösen Veranstaltung. Als habe jemand das Motto „Ich bin ein Krimistar– holt mich hier raus“ ausgegeben, woraufhin sich Deutschlands Elite-Krimikritiker und mehr oder weniger prominente Krimischreiberlinge der C-Klasse im Medien- und Netzdschungel versammelt haben, um gemeinsam widerliche Prüfungen zu bestehen. Es geht freilich nicht nur um die Erfüllung von so ekelhaften Aufgaben wie „Lobhudeln Sie den blutrünstigsten Krimischreiber der Saison in die SPIEGEL-Bestsellerliste“ oder „Schleimen Sie sich bei einem Verlag so ein, dass Sie entweder…
a) …als Autor einen Vertrag über fünf Buchveröffentlichungen bekommen“
oder
b) … als Kritiker fünf Pressereisen bezahlt bekommen“. – Nein, mindestens genauso interessant sind die Lästereien, die sich die Damen und Herren so unter- und übereinander an den Kopf werfen. Bevor ich aber zu den aktuellen Abgründen der Krimizunft komme, schaue ich doch lieber auf ein positives Beispiel, das zeigt, wie sich Kritiker und Autor auch zwischenmenschlich näher kommen, voller Verständnis für einander sind und dabei reichlich heiße Luft erzeugen.

Neulich, da wurde nämlich beim → Titel-Magazin berichtet, es käme jetzt aber mal so richtig zu einer Generalabrechung zwischen Kritik und Autor. Angetreten zum „Kreuzverhör“ waren Ulrich Noller, der Norbert Schramm der deutschen Krimikritik, und Thomas Kastura, die Gundis Zámbó der heimischen Krimiproduktion, um sich gegenseitig richtig deftig und heftig die Meinung zu geigen. Raus gekommen ist bei dieser ach so spannungsgeladenen Begegnung jedoch nur ein harmloses Tête-à-Tête mit sensationellen Erkenntnissen, wie etwa der folgenden Einsicht:

„Was einen guten Kriminalroman ausmacht? Wie viel Krimi ein Krimi enthalten sollte? Tja, ich habe nichts gegen die Ausdifferenzierung des Genres; im Gegenteil bin ich sogar der Meinung, dass Krimi gar nichts anderes sein kann, als ein sich dynamisch immer weiter ausdifferenzierendes Medium, schließlich ist es schlechterdings nicht möglich, exakt zu definieren, was ein (guter) Kriminalroman überhaupt ist, was heißt, das Entwicklung immer Ausdifferenzierung sein muss. Deshalb: Ein guter Krimi? Das ist einer, der Dich berührt, weil er ein guter Krimi ist. Das ist vermutlich letztlich eine bloß subjektive Einschätzung, die, immerhin, subjektiv ist – auch wenn die einzelnen Parameter dieses Urteils zumindest teilweise objektivierbar sein könnten. Führt aber jetzt zu weit …“

Ist es nicht wunderbar, liebe Lesende? Jenes „Führt aber jetzt zu weit“ taucht als Lendenschurz immer dann auf, wenn die Gefahr der intellektuellen Blöße besteht (was bei den wilden Zuständen im deutschen Krimi-Camp ja durchaus vorkommen kann), oder schlicht die Angst, einfach keine Antwort zu wissen auf die Frage, was denn nun ein guter Krimi sei. Auf jeden Fall taucht es immer dann auf, wenn es eigentlich an die Substanz geht. Und so saßen sich am Ende dieses „Kreuzverhörs“ Noller und Kastura wechselseitig auf dem Schoß, so dass ich zunächst annahm, ich hätte mich bei der Internetseite vertan und wäre schon wieder auf irgend so einem durchgesessenen Literatursofa gelandet. Musste ich doch Sätze wie „Ein guter Krimi? Das ist einer, der Dich berührt, weil er ein guter Krimi ist.“ lesen. Oder diese umwerfende Erleuchtung: „Die Sprache eines Krimis muss meines Erachtens schon ein gewisses Niveau haben, um z.B. auch international wahrgenommen zu werden.“ Aber siehe da, ich hatte nicht die Seiten verwechselt. Gerührt, meine lieben Lesenden, gerührt ob solcher brillanten Feststellungen war ich dennoch. Das sind schließlich Worte für die Ewigkeit!

Aber natürlich ahne ich schon, dass Ihnen, liebe Lesende, diese Blümchenkritik und dieser Schlagabtausch mit Wattebäuschchen nicht reicht. Wer wirkliche Wortwrestler und Krimikerle im Clinch erleben will, der muss schon zu den richtig bösen Buben bei den echten Bruchbuden im Medien- und Netzdschungel surfen, etwa zu unserem Lieblingssender ARTE – dem Zielgruppensender mit der schnarchigsten Internetseite der Welt. Dort konnte ich vor ein paar Tagen etwas beobachten, was mir einmal mehr zeigte, wie brutal, wie schonungslos, wie mörderisch die KrimiWelt da draußen ist.

Auftakt bildete ein gezierter Aufschrei vom Peter Bond der deutschen Krimikritik, Tobias Gohlis, auch bekannt als ToGo, was übrigens aufgrund seiner Vergangenheit als Reisejournalist so seinen ganz eigenen Wortwitz hat, aber das nur am Rande. Jedenfalls echauffierte sich der ToGo zaghaft über die geplanten Krimis, die im Hause Suhrkamp erscheinen sollen. Unter der Überschrift → „Krimis bei Suhrkamp – Igitt?“ wollte Gohlis wohl so etwas wie eine Diskussion anregen. Dabei versuchte er einen fluffig formulierten Seitenhieb gegen den Verlag aus Frankfurt auszuteilen:

„…die Speerspitze des Zeitgeistes, der Verlag, der sich zuletzt mit einem neuem „Verlag der Weltreligionen“ anschickte, dem worldwide Glaubensboom ein Textfundament zu geben.“

****AUF WUNSCH VON TOBIAS GOHLIS ENTFERNT****
Also ruderte er gleich ein paar Zeilen später wieder zurück und haute sofort einen seiner legendären Klappentexte raus, die ihn zum König der deutschen Klappentexter machen: „Man darf gespannt sein.“ Das wird die Suhrkamps sicher freuen, nur mit der angestoßenen Diskussion wurde es erstmal nichts, schließlich wird in Blogs nach Auffassung des Hamburger Kritikers auch nur geturtelt. Offenbar war aber keiner so recht willig…

Dann aber machte der ToGo eine Entdeckung, die, glaubt es mir, meine lieben Lesenden, dereinst von den Historikern zu den Meilensteinen der deutschen Krimikritik gezählt werden wird: → Der literarische Krimi. Es gab ihn schon mal. „Lit. Krimi“ bei Goldmann zum Beispiel. Natürlich voll „retro“, würde die Grand Dame der Krimikritik, Thomas Wörtche, vermutlich kreischen. Aber der ToGo schreitet munter voran in die Vergangenheit und stellt eine forsche Forderung auf:

„Und vor allem, weil es der Krimikritik bisher nicht gelungen ist,
a) ihre Kriterien zur Beurteilung von Kriminalliteratur entweder so scharf zu formulieren, dass sie über die Wissenschaft ins feuilletonistische Allgemeinhirn sickern konnten
oder b) selbst allgemeinverständliche und durchschlagende Definitionen „guter“ Krimis zu erarbeiten.
Das wäre übrigens das Ziel einer solchen Debatte.“

Scharfe Formulierungen, feuilletonistisches Allgemeinhirn, durchschlagende Definitionen – alles Reizworte, die man im Saarland – wir wissen es, liebe Lesende – gar nicht gerne hört. Der als Zynismuspraktikant und Wörtche-Nachfolger in spe bekannte Dieter Paul Rudolph, oder kurz dpr, jenes wunderbare Zwitterwesen aus Kritiker und Autor, sozusagen die Lorielle London der deutschen Krimiszene, stieg dem ToGo kräftig aufs Dach. Rausgerissen aus seinen perpetuellen Gedanken über Wirklichkeit und Krimi und Krimi und Wirklichkeit und Wirklichkeit und Krimi, mit denen er uns seit Jahren schwindelig denkt, konterte dpr in einem ersten, prägnanten Kommentar:

“Dann warten wir gespannt auf Ihre erste Definition von „gutem Krimi“ wirft er dem Kritiker aus Hamburg herausfordernd an den Kopf.: „. Soll sie eher die inhaltliche, die formale oder die sprachliche Ebene beruecksichtigen? Alle drei? Stellen Sie sich eine Art to-do-Liste fuer Autorinnen darunter vor? Was geschieht, wenn jemand daherkommt und sich nicht an diese Definition haelt, aber dennoch einen guten Krimi schreibt? Geht das dann ueberhaupt noch? Schliessen Autor und Kritiker quasi einen Vertrag ueber die Einhaltung der Kriterien?“

Ein rattenscharfer Schuss, den der ToGo nicht auf sich sitzen lassen kann:

“ Antwort verfehlt, lieber dpr und JL(?)“ behauptet der Hamburger Kritiker und schlussfolgert ebenso rattenscharf „Mir geht es ja nicht um das Geturtel im blog.“

Uhi, meine lieben Lesenden, wann hat es zuletzt einen solchen knallharten Schlagabtausch gegeben? Doch der dpr hat – wie so oft – das letzte Wort (sonst ist er nämlich nicht glücklich):

“ Was macht denn unsereiner seit geschlagenen vier Jahren? Blogturteln? Vor allem doch Krimikritik, Schaerfung der Instrumente oder wenigstens den Versuch, sie zu schaerfen, das Eroeffnen von Diskussionen mit „der breiten oeffentlichen Meinung“, die nicht unbedingt so ahnungslos ist wie mancher, der sich hierzulande Krimikritiker nennt, in diversen Jurys sitzt, aber keine Kritiken schreibt,…“

Ach, liebe Lesende, ist es nicht traurig und erschütternd? Forderte nicht erst vor einem halben Jahr Hendrik Werner, der knuffige Günther Kaufmann der Krimikritik, „krimifreunde aller branchen, verständigt euch!“ Und jetzt das. Da zerfleischen sich zwei Koryphäen der kritischen Krimikritik bis auf die Knochen. Kein Krimiautor, ob nun heimisch oder aus fernen Ländern, könnte uns so ein Massaker schöner besorgen. Das ist besser als jede Promiprüfung im australischen Dschungel und mindestens genauso eklig. Schade nur, dass dieser Kampf weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Austragungsort sind ja nur Blogs, die billigen Absteigen im Netz, in denen kräftig geturtelt wird. Den Mut, ein solches Thema in die großen publizistischen Angebote, in das angeblich so wichtige Feuilleton zu bringen, den haben sie nicht, die Maulhelden der deutschen Krimikritik. Dafür fehlen ihnen vielleicht auch einfach nur die Eier.

Liebliche Grüße
Ihre
Lucia
– Literatussi –