Düstere Disharmonie

vom Krimiblogger

Flugrausch Garry Disher – Flugrausch

Es ist sein Job, Bücher zu schreiben. Garry Disher nimmt ihn ernst. Der australische Autor beherrscht nicht nur sein Handwerk, er gilt als einer der wichtigsten Autoren Australiens. Krimis, Kinderbücher, Romane, Sachbücher, Ratgeber für Autoren – über 40 Bücher hat Disher, der am 15. August 2005 seinen 56. Geburtstag feiert, veröffentlicht.

Vor fast drei Jahren hatten deutsche Leserinnen und Leser zuletzt die Gelegenheit, Garry Disher auf seiner Lesereise durch Deutschland kennen zu lernen. Damals war gerade sein Roman „Drachenmann“ („The Dragon Man“) in deutscher Übersetzung erschienen. Bis dahin galt Disher als Geheimtipp unter Noir-Liebhabern: Mit seiner Reihe um den Gangster Wyatt hatte er sich bereits ein kleines Publikum in Deutschland erschrieben. Der „Drachenmann“, erster Roman einer Serie um den Polizisten Hal Challis, brachte dem Autor die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums ein. Seine Mischung aus Polizei- und Serienkillerroman fand damals nicht nur bei Kritikern Lob.

Jetzt, gut drei Jahre später, erscheint endlich der Nachfolgeband zum „Drachenmann“. „Kittyhawk Down“ heißt der Krimi im Original, die deutsche Übersetzung trägt den doppeldeutigen Titel „Flugrausch“ – eine Anspielung nicht nur auf die Liebe Hal Challis zu alten Flugzeugen und deren Pilotinnen, sondern auch auf den florierenden Drogenanbau und -handel, der sich auf der australischen Halbinsel im Peninsula District, südlich von Melbourne, abspielt.

Gelungene Komposition

Drogenkriminalität ist eines von vielen Themen, die Disher in seinem Roman behandelt. Eine Wasserleiche, ein Vergewaltiger, ein Verräter, ein abgebrannter Geschäftsmann, ein verschwundenes Kleinkind, ein Kredithai und bestechliche Polizisten bilden das Ensemble, mit dem es Hal Challis in seinem zweiten Roman zu tun bekommt. Verwirrend und weit gestreut sind die großen und kleinen Verbrechen – wie die kleinen Schrotkugeln, die ein irrer Killer auf seine Opfer abfeuert. Er ist einer der bösen Buben, denen Challis und seine Kolleginnen und Kollegen fassen müssen.

Disher erzählt diese Geschichten von großen und kleinen Gaunern, Drogenbaronen und Mördern lakonisch und knapp: Ein paar Andeutungen hier, einige Skizzen dort und es entsteht ein komplexes und vielschichtiges Bild, das der australischen Wirklichkeit vermutlich näher kommt, als wir uns das im fernen Europa vorstellen können. Glücklicherweise bleibt es nicht bei verstreutem Schrot – Disher führt die zahlreichen Nebenfiguren und –handlungen kunstvoll zusammen. So wird etwa das Geheimnis der Wasserleiche, Eröffnungsszene des Romans, bis zum Ende getragen. Immer wieder taucht der unbekannte Tote auf, bis Challis ganz zum Schluss dessen Identität und Todesumstände lüften kann.

Düsterer Realismus ist eine weitere Stärke Dishers, der als Inspiration immer wieder Meldungen und Geschichten aus Zeitungen in seinem Werk verarbeitet. Der australische Autor ist allerdings weit mehr, als ein Kolportageschriftsteller: Er ist ein Meister der modernen Krimikomposition. Sätze, Dialoge, Figuren und schnelle Schnitte sind fein und sauber aufeinander abgestimmt – kein Wort ist zuviel, kein Charakter überflüssig, keine Nebenhandlung eben nur auf ein „Neben“ reduziert. Ein albernes und simples Whodonit-Rätsel reicht Disher nicht. Dadurch entsteht nicht nur das schon erwähnte komplexe Bild, es entwickelt sich auch ein faszinierendes Erzähltempo, dass flott und schnell aber niemals atemlos oder gehetzt erscheint. Disher zu lesen, der seine „Wörter auf den Seiten zum singen“ bringen möchte, wie er im Nachwort erklärt, ist ein literarischer Genuss erster Güte.

Geraubte Illusionen

Garry DisherDoch Vorsicht! Es geht hier nicht um einfühlsame Melodien und Harmonien, erst recht nicht um einlullenden Krimikitsch – Dishers wohl durchdachte Kompositionen sind disharmonisch, bitter und dunkel. Seine Figuren, getrieben von Egoismus, Habgier, Geilheit oder auch einfach nur Dummheit, sind die Verkörperung des durchschnittlich Schlechten, das uns allen näher ist, als wir es wahr haben wollen. Mit wenigen, klug geschriebenen Sätzen gelingen Disher Einblicke in die menschliche Seele, die weit weg sind von Gefühlsklamauk oder Schwarzweißzeichnungen manch anderer Krimiautoren. Dazu beißende Gesellschaftskritik, wie zum Beispiel an der australischen Asylpolitik, die eingebettet in diesen Zusammenhang berückend daher kommt. Dishers düsterer Blick auf die Welt ist eine changierende, abgestufte Grauzeichnung moderner Menschen in ihrem grauen(vollen) Alltag.

Herausragend wird dies alles, betrachtet man „Flugrausch“ nicht nur innerhalb der Serie um Hal Challis, sondern schaut auf das Gesamtschaffen Dishers. Auf der einen Seite die Noir-Gangster-Romane um Wyatt, auf der anderen Seite die ernüchternden Polizeiromane um Hal Challis. Zusammen führen sie uns ein ungeschöntes Bild moderner Kriminalität vor Augen – ohne Fluchtpunkt. Schließlich bleiben auch die Polizisten rund um Hal Challis in ihrer Durchschnittlichkeit, in ihrer Anfälligkeit für Bestechung und kleinen, kriminellen Trostpflastern gefangen, moralisch nicht viel besser, als ein Berufsverbrecher wie Wyatt. Obwohl sie – die “guten“ Polizisten – eigentlich auf der anderen Seite stehen sollten. Diese Illusion raubt uns Garry Disher und nimmt dadurch innerhalb des Genres eine wichtige Stellung ein. Aufklärende, eindeutige und vor allem glaubwürdige Stimmen finden sich nämlich nur noch selten zwischen Kuschelkrimi-Schreibern, depressiven Gesellschaftskritikern und ätzenden Seelenschändern, bei denen es nur um den Effekt, nicht aber um echte Menschen geht. Der Australier Disher ist hingegen nicht nur ein perfekter Berufsschriftsteller, er ist auch ein authentischer Humanist und ein großer Künstler.

Garry Disher: Flugrausch / Aus dem Englischen von Peter Torberg. – Zürich : Unionsverlag, 2005
ISBN 3-293-00352-4

Original: Garry Disher: Kittyhawk Down. – Crows Nest : Allen & Unwin, 2003

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