Starke Seelenzeichnungen statt Psychokram
vom Krimiblogger
Die Krimis von Astrid Paprotta
„Ordentlicher Psyochkram“ urteilt ein Kritiker, „realtitätstüchtig“ und mit bleibendem „Bildeindruck“ schrieben andere Kritiker über die Kriminalromane von Astrid Paprotta. Tobias Gohlis sieht in der Autorin gar eine mögliche Nachfolgerin der großen Patricia Highsmith. Keine Frage: Astrid Paprotta, die neben Sachbüchern (u.a. „Aldidente“) und einem Roman („Der Mond fing an zu tanzen“) bislang auch drei Krimis vorgelegt hat, ragt deutlich aus den Niederungen der biedern, deutschen Krimischreiber und -innen hervor.
Dies zeigt Paprotta auch mit ihrem neusten Kriminalroman „Die Höhle der Löwin“, der vierte Krimi mit der Frankfurter Kommissarin Ina Henkel. Doch zuvor lohnt sich ein kurzer Rückblick, denn Paprotta hat die Bedeutung und Funktion einer Krimiserie neu belebt und zu den Ursprüngen zurückgeführt. Wie sinnvoll eine Krimiserie sein kann – Paprotta macht es vor. Es geht ihr nämlich vor allem um die Entwicklung ihrer Hauptfigur Henkel. Während zahlreiche Krimiautoren beim Schreiben von Serien vermutlich nur das Marketing im Kopf und Euro-Zeichen in den Augen haben, dafür aber wenig an ihre Figuren denken, nennt Paprotta ihre Romanreihe „Spiegelungen“ und setzt sehr bewusst auf Veränderungen und Dynamik ihres Hauptcharakters Ina Henkel.
Der Leser lernt die leicht schnoddrige Ina Henkel in „Mimikry“ (1999) kennen, in dem die Komissarin Serienmorde an vereinsamten Großstadtmenschen aufklären soll. Gemeinsam ist den Opfern, dass sie Gäste in einer TV-Talkshow á la „Fliege“ oder „Hans Meiser“ waren. Seelenstriptease nannte man das in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Privates und Peinliches wird zur besten Kaffeezeit dem Fernsehvolk schonungslos präsentiert. Die Psychologin Paprotta wusste vermutlich schon, warum sie in ihrem ersten Krimi mit kräftigen Seitenhieben auf diese Art von Talkshow eindrosch. Psychischer Druck, physische Gewalt und deren Auswirkungen auf das Handel von Menschen – ein Thema, das die weiteren Romane von Paprotta deutlich durchzieht. Dabei kriecht Paprotta durchaus sehr tief in die Seelengänge ihrer Figuren ein, bis in die hintersten Ecken, dort, wo das Böse oder die Leere sitzt. Allerdings verzichtet die Autorin auf Bloßstellung ihrer Charaktere, nur um beim Leser zu punkten oder Effekthascherei zu beitreiben. Paprotta zeigt vielmehr die Mechanismen auf, die bei Menschen zu Gewalt und Mord führen. Wichtig sind ihr dabei die inneren Spiegelungen, die der Reihe den Titel geben. Im Fall von „Mimikry“ sind es die Reflexionen zwischen der Mörderin und Kommissarin. Um der wahnsinnigen Täterin auf die Spur zu kommen, muss sich Ina Henkel in deren Gedankengänge versetzten. Kein leichtes Unterfangen, denn für manche Ideen der Irren hegt Henkel durchaus Sympathien.
Die kleinen, großen Dramen
So auch in ihrem zweiten Krimi „Sterntaucher“ (2002), den ich für ihren bislang besten Krimi halte. Bei der Suche nach seinem jüngeren Bruder Robin stößt der schizophrene Streifenpolizist Dorian Kammer auf dessen Leiche. In Rückblenden und starken Innenansichten entfaltet Paprotta hier eine dramatisch-traurige Familiengeschichte, ohne dabei in Betroffenheitskitsch abzugleiten. Die Spur führt zu Katja Kammer, der Mutter von Dorian und Robin, und auch hier setzen wieder die Seelenspiegelungen zwischen Ina Henkel und der ehemaligen Sängerin Kammer ein, die ihre Söhne einst nicht nur einfach weggegeben hat, sondern auch Zeugin ihrer Misshandlung wurde. Ein schauriger, grausamer und ergreifender Roman, der die Seelenqualen moderner Menschen greifbar, erles- und erlebbar macht.
Fast nahtlos schließt sich an den „Sterntaucher“ im Jahre 2004 der Roman „Die ungeschminkte Wahrheit“ an, mit dem Astrid Paprotta beim diesjährigen Deutschen Krimipreis verdientermaßen den ersten Platz belegte. Eine Serie von Morden an Obdachlosen, die als Leichen grell geschminkt werden, beschäftigt Ina Henkel. Während sich Frankfurt im Sommer zu einem schwülen Glutofen erhitzt, muss die Kommissarin mit kühlem Kopf den Mörder finden. Bei ihren Ermittlungen trifft sie auf Denis Berninger, die als blonder Racheengel in ihrer TV-Show „Fadenkreuz“ Gewaltverbrecher gnadenlos jagt. Eine TV-Tussi, so der erste Eindruck, den Ina von der Berninger bekommt und der die Männer im Polizeirevier zu Füßen liegen. Doch Ina schafft es, hinter die Fassade der Moderatorin, die einst eine Maskenbildnerin war, zu schauen und stößt schließlich auf ein abscheuliches Verbrechen. Toni Prinz, Lebensgefährte von Denis Berninger, unternahm illegale, medizinische Versuche an den ermordeten Obdachlosen. Als Denis dies erfährt, ersticht sie ihren Lebensgefährten. Sie hat ihn „gerichtet“ – so die Erklärung von Ina Henkel, die immer mehr Zuneigung zu Denis entwickelt.
Figuren aus Fleisch und Blut
Hier knüpft der Roman „Die Höhle der Löwin“ an. Während ihrer Haftzeit erkrankt Denis Berninger an TBC und wird in ein Krankenhaus verlegt. Der ihr zugetane Pfleger Paul Schiller – er ähnelt dem jugendliche Alain Delon – verhilft Denis zur Flucht. Ina Henkel soll Denis wiederfinden. Die Spuren führen sie nach Bukarest. Dort findet Ina die Flüchtige und unwissend lockt sie Denis in eine Falle der Polizei. Noch während Ina der Flüchtigen rät, möglichst bald aus Bukarest zu verschwinden, klicken die Handschellen. Doch Denis gelingt ein zweites Mal die Flucht, diesmal aus rumänischer Haft. Sieht Denis Ina nun als Verräterin und will sie – ähnlich wie ihren ehemaligen Lebensgefährten – „richten“? Was hat es mit Dan, dem Rumänen, und seinem verschwundenen Sohn auf sich? Warum bot Dan Denis Unterschlupf? Wo steckt Sie jetzt? Als ein Kollege von Ina Henkel ermordet aufgefunden wird, sind sich die deutschen Ermittlungsbeamten sicher: Denis Berninger hat wieder zugeschlagen. Ina Henkel hegt Zweifel und beginnt von Frankfurt aus Nachforschungen auf eigene Faust.
„Die Höhle der Löwin“ beschließt Astrid Paprottas Krimiserie „Spiegelungen“ und am Ende steht nicht der große Showdown, nicht der erlösende Knalleffekt, sondern eine einfache Erkenntnis. Ina Henkel hat den Anblick und den Geruch von Leichen satt und lässt sich von der Mordkommission versetzen. Eine konsequente, in der Figur der Ina Henkel logisch begründete Schlußfolgerung, die lauten Applaus verdient. Paprotta hat bis dahin eine faszinierende Seelenlandschaft ihrer Heldin Ina Henkel gezeichnet: Oft düster und traurig, manchmal ärgerlich, aber immer ehrlich und echt. Eine Heldin aus Fleisch und Blut und kein Plastik, wie Paprotta auf ihrer Homepage schreibt. Das ist ihr mehr als gelungen. Durch die scharf ausgeleuchteten Seelenportraits ihrer Figuren entstand über vier Romane hinweg ein komplexes Bild von moderner Polizeiarbeit, jenseits von ach so raffinierter Gerichtsmedizin oder platter Aktion. Paprotta ging es in ihren vier Romanen um Polizisten, ihre Arbeit und die Folgen. Polizisten, die eben den Anblick und Geruch von Leichen nicht mehr ertragen können, die verzweifeln an den ständigen kleinen und großen Dramen alltäglicher Menschen. Zudem legt Paprotta die Mechanismen von Verdrängung und Hoffnung angesichts von Mord und Totschlag offen.
Eine einzigartige Stimme
Das ist mehr als „ordentlicher Psychokram“, denn Paprotta schreibt mit einer sehr eigenen, komplexen Prosa. Schnelle Gedankensprünge zwischen einzelnen Figuren – von einer Seele in die nächste und wieder zurück – dazu lakonische Dialoge, in denen immer wieder ein sehr schwarzer und kraftvoller Humor aufblitzt, Ina Henkels sehr passende Schnoddrigkeit und die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Figuren – all dies erzeugt eine dichte und spannende Erzählung, der man aufmerksam folgt. Paprotta schärft die Sinne des Lesers für die Folgen und Auswirkungen von Gewalt. Sie zeigt ohne moralischen Zeigefinger oder Gut-Mensch-Attitüde die Spuren auf, die Erpressung, Druck, Schläge und vor allem Einsamkeit in der menschlichen Seele hinterlassen. Es ist nicht übertrieben: Deutschlands derzeit bedeutendste Krimiautorin heißt Astrid Paprotta. Keine Anne Chaplet, Sabine Deitmer, Thea Dorn, Monika Geier, Doris Gercke, Christine Grän, Petra Hammesfahr, Uta-Maria Heim, Ingrid Noll, Irene Rodrian oder Regula Venske können da wirklich mithalten. (Das übrigens, liebe Leute bei Eichborn, Fischer und Piper, dürft ihr gerne zitieren) Sie ist eine der besten Seelenzeichnerinnen der deutschen Literatur, die es derzeit gibt. Kein Küchen-Psychokram und auch kein Seelenstriptease sondern glaubwürdig wirkende Menschen sind ihre Kunst. Angesichts von egozentrischen Popliteraten und langweiligen Agatha-Christie-Epigonen eine wichtige, eine einzigartige Stimme.
Die erwähnten Bücher
Astrid Paprotta: Mimikry. – Frankfurt am Main : Eichborn, 1999
ISBN 3-8218-0788-1Taschenbuch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.deAstrid Paprotta: Sterntaucher. – Frankfurt am Main : Eichborn, 2002
ISBN 3-8218-0867-5Taschenbuch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.deAstrid Paprotta: Die ungeschminkte Wahrheit / Kriminalroman. – München : Piper, 2004
ISBN 3-492-27077-8Taschenbuch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.deAstrid Paprotta: Die Höhle der Löwin / Kriminalroman. – München : Piper, 2005
ISBN-13: 978-3-492-27096-0
ISBN-10: 3-492-27096-4Taschenbuch bestellen bei:
» amazon.de » libri.de » buch24.de
Kommentare
Schön, gerade „Höhle der Löwin“, jetzt diesen Artikel gelesen. „Höhle“ ist das genaue Gegenteil vom „Sterntaucher“, finde ich, stellenweise sogar der Beweis, wie _schön_ ein Krimi auch sein kann. Die Dialoge zwischen den beiden Protagonistinnen sind das Feinste, was in letzter Zeit hierzulande erschienen ist, überhaupt lese ich dieses Buch auch als die fast anrührende Geschichte einer Freundschaft.
Dass Ina Henkel wirklich aufhört, hoffe ich doch nicht. Sie ist das Mädchen von gegenüber, die ich manchmal im Supermarkt treffe, mit diesen schicken Klamotten, mit den ipod-Steckern im Ohr, immer ein wenig fahrig – ach so, die ist bei der Polizei!
Sehr schöner Artikel da oben.
Hallo Ralf,
danke! Ja, ich denke auch, dass „Die Höhle der Löwin“ sehr anders ist als der „Sterntaucher“. Bei der „Höhle“ habe ich an manchen Stellen laut gelacht, weil sich die Dialoge zwischen Ina und Denis, trotz all der Tragik, plötzlich zu schwarzem Humor entwickelten. Den „Sterntaucher“ empfand ich als bewegend, auch wenn „bewegend“ jetzt so ein blödes, ausgeleiertes Wort ist, dass ich gar nicht mehr benutzen sollte.
Viele Grüße
Ludger
[…] 1. Astrid Paprotta: Die Höhle der Löwin (Vormonat Rang 2) […]
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[…] Als bester Roman wurde “Die Höhle der Löwin” von Astrid Paprotta ausgezeichnet. In der Sparte Debüt gewann Leonie Swann mit ihrem Schafskrimi “Glennkill”. Der Preis für die beste Kurzgeschichte erhielt Jürgen Ehlers für “Weltspartag in Hamminkeln”. Der Hansjörg-Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugendkrimi ging an Jürgen Banscherus für seine Reihe “Ein Fall für Kwiatkowski”. Der Ehrenglauser geht in diesem Jahr an Edgar Marsch. Alle Nominierten gibt es hier auch noch mal in der Übersicht. […]
[…] Als bester Roman wurde “Die Höhle der Löwin” von Astrid Paprotta ausgezeichnet. In der Sparte Debüt gewann Leonie Swann mit ihrem Schafskrimi “Glennkill”. Der Preis für die beste Kurzgeschichte erhielt Jürgen Ehlers für “Weltspartag in Hamminkeln”. Der Hansjörg-Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugendkrimi ging an Jürgen Banscherus für seine Reihe “Ein Fall für Kwiatkowski”. Der Ehrenglauser geht in diesem Jahr an Edgar Marsch. Alle Nominierten gibt es hier auch noch mal in der Übersicht. […]