Platzpatrone – Folge 1: Voll belämmert

vom Krimiblogger

Glennkill - Warnung!
Leonie Swann: Glennkill

Die Selbstmarginalisierung des deutschen Krimis schreitet munter voran. Als Leser/in hat man sich an die Masse von belanglosen Regionalkrimis, Serienkillerthriller oder historischen Schmonzetten schon gewöhnt. Es gibt aber immer wieder besondere Tiefpunkte im Schaffen deutscher Krimischreiber/innen, die eine entsprechende Würdigung unbedingt verdienen.

Ganz tief unten in der Motten- und Klischeekiste hat der einstmals renommierte Goldmann-Verlag gekramt oder kramen lassen. Es ist jener Verlag, der im letzten Jahrhundert noch mit einer eigenen Krimireihe glänzte, in der sich das Who-is-Who der Krimischreiber ein Stelldichein gaben. Doch die Zeiten ändern sich, Qualität ist nur hinderlich und deshalb wirft Goldmann in diesem Sommer den ersten Schafskrimi aus deutschen Landen auf den Markt. „Glennkill“ heißt der, spielt selbstverständlich nicht in heimischen Landen sondern auf den „grünen Wiesen“ Irlands und verbrochen hat ihn eine junge Frau, die sich wohlweislich hinter dem Pseudonym Leonie Swann versteckt.

Glaubt man den Lobpreisungen des Verlags, dann ist ein Schafskrimi mal ganz was Neues, was Frisches, ja, was Einzigartiges in der Krimilandschaft! Endlich gibt es mal tierische Ermittler, die nicht vermenschlicht werden, dazu gleich Schafe, die üblicherweise als dumm abgestempelt werden. Autorin Swann sprudelt vor Originalität und Witz, denn sie lässt ihre irischen Schafe den Mord an ihrem Hirten George aufklären. Natürlich haben die Viecher furchtbar einfallsreiche Namen: Das klügste Schaf der Herde, dass zugleich alle Ermittlungsfäden zusammenführt, heißt Miss Maple, das schwarze Schaf der Herde heißt Othello und der geheimnisvolle Widder, der unvermutet nach langer Abwesenheit wieder auftaucht, hört auf den Namen Melmoth.

Kurzes Bildungsintermezzo: Na, wer waren die Vorbilder? Richtig, auf Agatha Christies Miss Marple tippt wohl jeder, Othello mag man auch noch in Richtung Shakespeare verorten, nur Melmoth, der den Beinamen, „der Wanderer“ trägt, könnte schwierig werden. Als literarische Schablone dürfte hier „Melmoth, der Wanderer“ von Charles Maturin gedient haben, ein Schauerroman aus dem Jahre 1820. Eben, mal richtig was Frisches, sagte ich ja bereits.

Auf über 370 Seiten langweilt Leonie Swann ihre Leser/innen mit Schilderungen über das Schafsleben – das vor allem aus Schlafen und Fressen besteht – und den scharfen Schafsbeobachtungen. Die Viecher nehmen die Menschen, die mit dem toten Schäfer George zu tun hatten, ins Visier. Viel verstehen die Schafe natürlich nicht von dem, was die Menschen da so treiben. Sie wissen zwar was Antibiotika sind, aber mit dem Wort „Gras“ verbinden die wolligen Vierbeiner natürlich nur ihr Futter und nicht das, was manche Menschen sich darunter vorstellen: Ein rauschhaftes Vergnügen. Wieder so ein origineller Einfall von Frau Swann! Woher sollten die Schafe auch wissen, was Gras ist, schließlich hat George zu Lebzeiten ihnen nur aus Liebesromanen vorgelesen – da tauchen in der Regel keine Kiffer auf. Ab und zu war bei der Lektüre übrigens auch ein Krimi dabei. Deshalb glauben die Viecher in eitler Selbstüberschätzung, den Mordfall selbst klären zu können. „Gerechtigkeit“ blöken sie über die Wiesen. Am Ende wird sich dann herausstellen, das George gar nicht ermordet wurde.

Üppige Stilblüten auf irischen Wiesen

Aber vor diesem fulminanten Schluss hat Frau Swann eben 370 Seiten Sprachwitz und Einfallsreichtum gesetzt. Da liest man dann so Sätze wie diesen:

»Sie standen zwischen dem wasserblauen Himmel und dem himmelblauen Meer an der Steilküste, wo man das Blut nicht riechen konnte, und fühlten sich verantwortlich.«

Hahaha, ich lach mich tot! Ist das nicht… ich meine… na, das ist doch sensationell! Sie verstehen doch „wasserblauer Himmel“ und „himmelblaues Meer“ – da muss man ja auch erst mal drauf kommen. Wahnsinn! Dazu immer wieder diese hochmoderne Erzählweise, Subjekt-Objekt-Prädikat, oder auch mal Subjekt-Prädikat-Objekt. Ganz verwegen! Oder auch diese sprühenden Dialoge:

» “Ein Ding?“ platze Mopple heraus.
„Ein Ding?“ hauchte Cordelia.
„Was ist ein Ding?“, fragte ein Lamm. „Kann ich auch so ein Ding fressen? Tut es weh?“ Seine Mutter schwieg verlegen. «

Schweigen möchte man auch über die hübschen Stilblüten, die auf Irlands grünen Wiesen üppig gedeihen und die man im Goldmann-Lektorat unter Naturschutz gestellt hat. So lässt zum Beispiel Frau Swann regelmäßig ihre Schafsherde „auseinanderspritzen“. Ist wahrscheinlich so ein Frau-Mutter-Natur-Ding, dass ich Dussel nicht verstanden habe. Auseinander spritzende Schafe mag ich mir allerdings auch nicht so gerne vorstellen.

Fazit: Dieser Roman ist hochgradiger Biomüll und gehört schleunigst auf den Komposthaufen.

Schlussbemerkung: Ich weiß nicht, worüber ich mehr entsetzt seien soll. Dass dieser Roman überhaupt das Licht der Buchhandlungen erblickt – dazu auch noch im Hardcover – oder darüber, dass zwei gestandene Kritiker – → Kolja Mensing im Deutschlandradio und → Ulrich Baron in der „Welt“ – diesen tierischen Blödsinn auch noch loben? Sind die Beiden belämmert? Während Baron den albernen Versuch unternimmt, „Glennkill“ in eine Tradition der literarischen Tierromane zu stellen, entblödet sich Mensing am Schluss seiner Besprechung nicht festzustellen: „Derart belesene Schafe gab es noch nie!“

Leonie Swann: Glennkill : Ein Schafskrimi. – München : Goldmann, 2005
ISBN 3-442-30129-7