Mut und Humor gegen das Vergessen

vom Krimiblogger

Das Kindermädchen

Elisabeth Herrmann: Das Kindermädchen

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Diese oft zitierte Aussage von Hanns Joachim Friedrichs soll Journalisten zur Neutralität verpflichten. Doch wie sieht es mit Autorinnen und Autoren von Kriminalliteratur aus? Dürfen sie sich mit einer Sache „gemein“ machen, wenn sie allgemein für „gut“ befunden wird? Wo liegen die Grenzen zwischen Nichteinmischung und persönlicher Beteiligung? Elisabeth Herrmann ist Fernsehjournalistin und arbeitet für den RBB. Nun ist ihr zweiter Roman „Das Kindermädchen“ erschienen (zugleich ihr erster Krimi), in dem sie einen bedrückenden Aspekt deutscher Gegenwart und Vergangenheit behandelt. Es geht um die beschämende Verleugnung der Existenz von Zwangsarbeiterinnen in deutschen Familien während des Dritten Reichs.

Dass es Ausbeutung von Zwangsarbeitern in Fabriken und Firmen gab und dass sich bis heute einige deutsche Wirtschaftsunternehmen weigern, den wenigen Überlebenden eine Entschädigung zu zahlen, kann noch als bekannt vorausgesetzt werden. Man hat davon gehört. Kaum jemand aber weiß von den Frauen und Mädchen, die während der letzten Jahre der NS-Herrschaft aus Polen oder der Ukraine nach Deutschland verschleppt wurden, wo sie als Haushaltshilfe oder Kindermädchen in den Haushalten reicher Familien schuften mussten. Genau um so einen Fall geht es in Herrmanns Kriminalroman.

Berlin im Hochsommer: Eine alte Frau steht eines Morgens im Garten der wohlhabenden Anwaltsfamilie Zernikow. Sie will das Familienoberhaupt Utz von Zernikow sprechen und ihm ein Schriftstück zur Unterschrift vorlegen. Joachim Vernau, Anwalt im Hause Zernikow und Schwiegersohn in spe, nimmt das vermutlich in Russisch verfasste Dokument an und wimmelt die alte Frau ab. Einige Tage später liest Joachim, Ich-Erzähler des Romans, in der Zeitung vom Unfalltod der Frau. Olga W., eine Ukrainerin, ist im Landwehrkanal ertrunken. Joachims Neugierde ist geweckt: Wer war diese Frau, die für ihre Freundin Natalja Tscherednitschenkowa jenes Dokument unterschreiben lassen wollte? Wer ist Natalja Tscherednitschenkowa und was hat sie mit der Familie seiner zukünftigen Frau Sigrun Zernikow zu tun?

Gelungene Gradwanderung

Joachim stößt bei seinen Nachfragen auf eine Mauer des Schweigens. Schließlich steht Sigrun als erfolgreiche Politikerin gerade im Wahlkampf und will Innensenatorin werden. Keine gute Zeit, um dunkle Familiengeheimnisse auszugraben. Das denkt auch Utz, der die Frau als Bettlerin abtut. Soviel bekommt Joachim jedoch aus seinem zukünftigen Schwiegervater heraus: Natalja Tscherednitschenkowa war sein ehemaliges Kindermädchen und ist tot. Utz behauptet, dass sie im November 1944 wegen eines angeblichen Diebstahls hingerichtet wurde. Er besitzt ein entsprechendes Dokument.

Warum aber steht dann plötzlich Milla Tscherednitschenkowa, die Tochter der angeblich toten Natalja, mit einer Pistole vor Joachim? Warum weigert sich Utz hartnäckig, seinem ehemaligen Kindermädchen eine Wiedergutmachung zukommen zu lassen? Joachim Vernau will mehr über die Vergangenheit der Familie Zernikow wissen. Zusammen mit seiner ehemaligen Studienkollegin Marie-Louise stürzt er sich in die Suche nach der Wahrheit. Eine Suche die mit rasanten Autofahrten, riskanten Hauseinbrüchen und einer tollkühnen Bootsentführung ihren Lauf nimmt und in einem feurigen Showdown endet.

Tragik, Komik und Spannung – Elisabeth Herrmann wagt eine Gradwanderung zwischen diesen drei Erzählelementen und besteht sie mit Bravur. Trotz des harten Grundthemas sprüht der Roman vor Witz und schwarzem Humor. Zahlreiche kuriose Figuren – etwa Joachims Freundin Marie-Louise oder die Hausgenossin seiner kranken Mutter – beleben den Roman. Die Autorin zeichnet ihre Figuren mit Sensibilität, stellt sie niemals bloß oder macht sie lächerlich. Bis in die Nebenfiguren hinein beweist die Autorin ein sicheres Händchen für lebensnahe, fein ausgezeichnete Charaktere. Klare und geschliffene Dialoge runden dieses Bild ab.

Der ärgste Feind des Fanatismus

Doch Herrmann gelingt noch mehr: die richtige Verbindung von menschlichen Dramen, unterhaltenden Episoden und spannungsgeladener Aktion. Ihr Erzählrhythmus ist klug durchdacht. Stetig steigert sie die Spannung, was nicht nur an den gegensätzlichen Figuren oder eingestreuten Abenteuern im Großstadtdschungel von Berlin liegt, sondern auch an ihrem geschickten Umgang mit den zahlreichen Erzählsträngen. Haupt- und Nebenhandlungen sind exakt auf einander abgestimmt und erreichen eine starke Sogwirkung beim Lesen. Ein flottes Erzähltempo in den Actionszenen wechselt sich ab mit ruhigen, nachdenklich stimmenden Rückblenden in die dunkle und schmerzhafte Geschichte der Adelsfamilie Zernikow.

Ist dies nun Unterhaltung oder ernsthafte Literatur? Kann man ein Thema wie Zwangsarbeit im Dritten Reich so behandeln? Herrmann führt vor wie unsinnig diese Schubladen sind. Gerade ihr feiner Humor, als ärgster Feind des Fanatismus, demaskiert die Lügen und das Verdrängen auf eine Art, wie es Betroffenheitsliteratur niemals schafft: ehrlich und echt. Die Autorin zeigt, dass sie sich nicht mit einer guten Sache „gemein“ machen muss, um sie pointiert zu schildern. Wo andere Autorinnen und Autoren seichte Botschaften vermitteln wollen, erzählt sie in einem lockeren, aber niemals seichtem Stil. Solange Kriminalliteratur wie der Roman „Das Kindermädchen“ kurzweilig und aufklärerisch zugleich ist, braucht sie sich nicht für eine Sache einspannen zu lassen, auch nicht für eine gute. Die Eindringlichkeit fiktionaler, aber lebensnaher Figuren, spannender Ereignisse und gekonnter Erzählkunst spricht – und vor allem wirkt – dann schon für sich. Nebenbei belebt sie das beliebte Genre. Dieses Buch verdient nicht nur Beifall sondern auch viele Leserinnen und Leser!

Elisabeth Herrmann: Das Kindermädchen : Roman. – Hamburg : Rotbuch Verlag, 2005. 432 Seiten
ISBN 3-434-53138-6

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Dieser Verein unterstützte Elisabeth Herrmann bei Recherchen zu ihrem Buch.