Krimiblog-Archiv

Lieber Ludger,

wer sich in eine Ecke begibt, darf sich nicht wundern, dass er dort alleine sitzen bleibt.

Wenn ein Buch mit einem Label versehen und in ein bestimmtes Regal des Buchgeschäftes gestellt wird, sei es jetzt Schwarz, Frau, Schwul, Regional oder Antikrieg, ist es doch ganz klar, dass dabei nicht nur eine Eingrenzung sondern auch eine Ausgrenzung stattfindet.

„Manchester Slingback“ von Blincoe hat ja nun nicht deshalb den „silver dagger“ gewonnen, weil es ein „schwules“ Buch ist, sondern weil es ein gutes Buch ist.

Beste Grüße

bernd

Ähm, das meinst Du jetzt nicht wirklich ernst, oder lieber Bernd?

Die Ausgrenzung findet wohl kaum durch schwule oder lesbische Autoren und Autorinnen oder Verlage und nur gelegentlich durch schwule Kritiker wie Tilman Krause (Welt) statt. Erinnert sei hier an die Diskussion um Alan Hollinghurst und die Auszeichnugn seines Romans „Die Schönheitslinie“ mit dem Booker Prize. Seit Jahren kämpfen und streiten Verlage wie MännerschwarmSkript darum, auch jenseits der schwulen Nische wahrgenommen zu werden, was allerdings nur selten gelingt.

Sorry, aber mit Deinem „wer sich in die Eck begibt“ machst Du es Dir zu einfach.

Liebe Grüße
Ludger

(Erst mal off topic: Ist mein Kommentar zu den Krimiblogs in deinem Spamfilter oder im digitalen Nirvana gelandet?)

In einer idealen Welt stünde auf einem Krimi „Krimi“. Nichts weiter. In einer Schubladenwelt muss aber Frauen-Regional-Schwulenkrimi draufstehen, das Dilemma ist mir schon bewusst. Die Nischenbewohner wollen aus der Nische raus, sich aber nicht schamhaft in der Masse verstecken. Ich gestehe, dass ich bei einer Bezeichnung wie „Schwulenkrimi“ auch immer einen spontanen Abwehrreflex an mir feststelle. Ich würde wahrscheinlich auch nicht Sara Paretsky lesen wollen, wenn dick und fett „Frauenkrimi“ draufstünde. Ich möchte auch einen „Schwulenkrimi“ als Krimi lesen und mein Urteil drüber abgeben können, auch wenns ein negatives ist, ohne dass mir irgend jemand vorhält, aha, mag keine Schwulenkrimis, also mag er auch keine Schwulen. Meine leider sehr traurigen Erfahrungen mit menschlicher Intelligenz sagen mir, dass aber genau das passieren kann. Du liest einen Krimi als Krimi und befindest dich doch auf einem ganz anderen Terrain, wo du ständig auf irgendwelche Minen treten kannst.
Das mag alles wenig rational sein, ist aber so. Andererseits kapier ich schon, dass ein „Schwulenkrimi“ immer auch die Problematik der Diskriminierung und der Emanzipation mittransportiert, sehr bewusst und durchaus auch sehr legitim. In einer idealen Welt wäre das auch alles kein Problem.

bye
dpr

Natürlich gibt es grauenvolle „Schwulenkrimis“ und ich befürchte nach einer ersten Sichtung, dass all die da oben aufgeführten Titel in der Kategorie „Schwuler Krimi“ eher mittelmässig bis schlecht sind, rein unter literarischen Aspekten. Bei den Nominierungen für die lesbischen Krimis ragen mit Ellen Hart und Laurie R. King ja schon ganz andere Namen hervor (die natürlich auch enttäuschen können). Wie gesagt, ist alles grob und ich hoffe, mein Urteil revidiern zu können, wenn einige der Bücher hier eintreffen.

Ich unterstelle nun auch niemanden, der einen Krimi mit schwuler Thematik verreißt, dass er oder sie nun latent oder offen schwulenfeindlich ist. Bei „schwulen Krimis“ – was auch immer das genau sein mag – ist ungefähr 99 Prozent Mittelmaß bis Schrott zu finden. Das ist so. Dennoch gab und gibt es mit Autoren wie Nava, Hansen oder Baker sehr gute Krimiautoren, die über schwule Thematik schreiben (können).

Natürlich sind solche Ettiketten wie „Schwuler Krimi“ immer zweifelhaft, wie auch auch das Ettikett „Krimi“ zweifelhaft ist. Würde man nun der erschreckend simplen Argumentation von Bernd folgen, ja dann hört auch der „Krimi“ in die Ecke und ist es selbst schuld, dass er da nicht raus kommt…

Was ich eigentlich mit den paar Worten andeuten wollte, ist, dass es – mittlerweile – keine Auszeichnung für schwule Literatur gibt, die wenigsten ein bisschen Aufmerksamkeit für schwule oder lesbische Literatur bringt. Und das im ach so aufgeklärten Deutschland, in dem immer wieder über die prüde USA geschimpft wird. Dort findet zum 19. Mal eine solche Preisverleihung mit mittlerweile 25 Kategorien statt. Es ist eben nicht immer alle so einfach.

Ludger

Lieber Ludger,

ich habe nicht erschreckend simpel argumentiert, sondern bewusst fokusiert. Wenn Du die Intention meines Textes nicht hierhingehend versteht, bitte schön.

Beste Grüße

bernd

Lieber Bernd,

eine Fokusierung birgt immer die Gefahr, dass entweder etwas in den Blickpunkt gerät, was eher marginal ist oder aber etwas aus den Blickwinkel fällt, was eigentlich genauer betrachtet werden sollte.

Liebe Grüße
Ludger

Lieber Ludger,

natürlich ist jede Eingrenzung eine Ausgrenzung, in welchem Kopf sie sich auch immer abspielen möge!

Meine Bemerkung reflektierte eine Diskussion in den USA über schwarze Literatur. Tatsache ist, dass es einige Autoren gibt, die nicht nur interessante Bücher speziell für Afro-Amerikaner schreiben. In aller Regel werden diese von der weißen Leserschaft nicht wahrgenommen. Ein vorsichtiger Konsens in der Diskussion ging dahin, dass weiße Leser eben nicht zu den Regalen und Geschäften für schwarze Literatur schlendern ! Sinngemäß stellten mehrere Leute fest, dass die Eingrenzung eben sehr wohl eine (wenn auch passive) Ausgrenzung sei. Und es gibt auch die Tendenz in kleineren unabhängigen Buchgeschäften derartige Untergliederungen zu vermeiden.

Und was bedeutet denn überhaupt „homosexuelle Literatur“ ? Ein Buch ist doch – zumindest in meinen Augen – per se kein Teil dieses Genres im engeren Sinne nur weil Autor Und/oder Protagonist homosexuell sind. Schließlich wäre dann in der Umkehrung die allergrößte Mehrheit der Buch spezielle heterosexuelle Literatur – mit dem gleichen Exklusivitätsanspruch.

Warum überhaupt wird ein Buch mit einem entsprechendem Label versehen ? [Es müßte eigentlich unterschieden werden, ob der Autor oder der Kaufmann/Verleger die Bezeichnung vergibt – wir wollen es aber simpel halten] Doch um wohl eine bestimmte Gruppe von Lesern anzuziehen, ihnen mitzuteilen, dass das Buch etwas enthielte, das für sie von besonderen Wert sei – na dann, also…

sag` ich mal, bleibt dieses Etiquett für Bücher die einen gewissen Kampfgeist verkörpern.

Halten wir es also simpel und lassen wir einmal den sozialogischen Kontext der Homosexualität außen vor und blicken auf das soziologische Phänomen des Käuferverhaltens eines heterosexuellen männlichen Lesers. Warum sollte dieser der vertikalen Gliederung folgen und bewusst als schwule Literatur bezeichnete Bücher, (also „Kampfliteratur“) lesen. Aufgrund des Labels ist zu mutmassen [bis zum Beweis des Gegenteils], dass hier der Subtext dominiert. Wenn sich der Leser nicht speziell in dieses Subgenre einlesen will, wird er es deshalb meiden.

Beste Grüße

bernd

Lieber Bernd,

ich möchte Dir erst einmal hier antworten, zu „meiner Agenda“ mehr bei dem anderen Blogeintrag.

Deine Aussage „wer sich in eine Ecke begibt, darf sich nicht wundern, dass er dort alleine sitzen bleibt.“ hat mich erschreckt und auch ein Stück weit verletzt, weil ich weiß, dass Du eigentlich sonst sehr differenzierst zum Beispiel bei wdt schreibst und ich Deine Besprechungen sehr schätze.

Ein- und Ausgrenzungen sind in der Regel nicht gut, stimme ich Dir zu. Allerdings erwarte ich, dass man nachfragt, woher diese Eingrenzungen denn kommen und warum es sie überhaupt gibt. Über viele Jahrhunderte wurden schwule und lesbische Menschen unterdrückt – das ist so und ist auch nicht schön zu reden. Das sich daraus eigene Subkulturen und Ghettos mit allen Vor- und Nachteilen entwickeln, kann man dann allerdings nicht alleine schwulen und lesbischen Menschen anlasten. Schließlich haben diese Ghettos – auch heute noch – manchmal auch eine Schutzfunktion, die man nicht klein reden sollte. Es gibt eben nicht diese ideale Welt. Es gibt dazu ein schönes Zitat von Michael Nava, dass ich schon mal vor Jahren in einer anderen Diskussion angebracht habe, ich finde es gerade nur nicht.

Wenn sich nun, um auf die Ebene der Literatur zu kommen, schwullesbische Verlage den Arsch aufreißen (und das tun die Männerschwärmer, das tun Damen bei Argument, und die Leute beim Quer-Verlag), um wenigstens ab und zu in der allgemeinen Literaturdiskussion und im Feuilleton aufzutauchen und wenn man ihnen dann sagt: Ihr habt Euch in Eure „selbstgewählte“ Ecke gestellt, bleibt man schön da, – dann werde ich sehr wütend.

Was schwule Literatur ist, kann ich auch nicht genau beantworten, so wie ich Dir auch nicht exakt sagen kann, was ein Krimi ist. Schwule Literatur beschäftigt sich mit schwulen Biografien, Lebensentwürfen, Lebensweisen, Ghettos, Beziehungen, Freundschaften und und und. Es ist ein Etikett, nicht mehr. Ob der Autor schwul oder heterosexuell ist, ist für mich ersteinmal nebensächlich, es gibt zum Beispiel sehr gute „schwule“ Romane aus der Feder von Frauen. Kampfliteratur ist schwule Literatur genauso oft wie „heterosexuelle“ Literatur – nämlich immer dann, wenn sie so gesehen wird.
Die von Dir angesprochenen Subtexte gibt es dort ebenso wie bei heterosexuelle Literatur – nur, dass schwule Menschen seit Jahrhunderten damit in der Kultur sozialisiert wurden.

Ohne zu persönlich werden zu wollen: Als Jugendlicher – es waren die 1980er Jahre – im stockkonservativen Sauerland, hatte ich keine positiven Rollenbilder, weder im Kino, noch im Fernsehen, noch im Radio – höchstens in der Literatur. Homosexualität existierte nicht, gab es nicht, wurde nicht drüber gesprochen. Die einzigen Freunde – und das ist sehr wörtlich zu nehmen – waren mein Bücher, waren Proust, Wilde, Genet oder Baldwin, die ich mir zum Teil heimlich schicken lassen musste. Ansonsten wurde ich, wie jeder anderer Schüler auch, getriezt mit den „Leiden des jungen Werthers“ oder „Kabale und Liebe“ – das hatte mit mir nicht wirklich viel zu tun.

Das hat sich – glücklicherweise – geändert, jede blöde Soap braucht heute mindestens einen Schwulen oder eine Lesbe. Selbstverständlich ist das in der Rezeption aber noch längst nicht und wird es wohl auch nicht sein. Vor allem wäre es sehr hilfreich, wenn man dann mal die Etiketten Etiketten bleiben ließe und dahinter schaut, ob es – im Fall von einem Literaturpreis – gute oder sehr gute Literatur ist.

Interessanterweise erwähnst Du die Afro-Amerikaner: Ich habe als Jugendlicher eben auch James Baldwin gelesen, der, wenn man es so verkürzt sehen will, im doppelten Ghetto schrieb: Im schwulen und im schwarzen. Natürlich hat mich vor allem der schwule Aspekt interessiert, aber ich glaube, Baldwin hat auch meine Wahrnehmung für die Probleme von Afro-Amerikanern geschärft. Ein Blick über den Tellerrand, der gut war.

Liebe Grüße
Ludger

Lieber Ludger,

zugegeben mein Text war arg kurz, aber ich dachte, mir die Einleitung zur soziologischen und historischen Situation der Homosexuellen sparen zu können – diese hat sich ja auch in den letzten Jahrzehnten ein wenig geändert -; ich habe mich nicht einmal auf die homosexuelle Literatur reduziert. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es nicht nur die Sicht der Betroffenen gibt, sondern auch die derjenigen die sie für sich gewinnen wollen. Entsprechend auch der Hinweis auf „Manchester Slingback“.

Verletzen wollte ich nicht; hätte aber vielleicht aber auch den Vertrauensbonus erwarten dürfen, der zum Zweifel an der eigenen (sprich: Deiner ) Interpretation führt.

Das mit dem Tellerrand habe ich natürlich provoziert. Aber natürlich ist fast jedes gute Buch ein Blick über den Tellerrand; es kommt nur darauf an, wie man den Leser an diesen bringt und von welcher Seite.

Und nun Waffenstillstand, so hoffe ich.

Mit besten Grüßen

bernd

Lieber Bernd,

ja, manchmal reagiere ich auch reflexartig – ich arbeite daran.

Liebe Grüße
Ludger