Unterirdisches Schattenspiel
vom Krimiblogger
Jenni Mills: Grab aus Stein
Stillgelegte Minen und vom Einsturz bedrohte Höhlen sind ein ziemlich sicherer Garant für Gänsehaut, zumindest aber für ein gewisses Unwohlsein bei den meisten Menschen. Wer – außer einigen wenigen Geologen oder Höhlenforschern – steigt schon gerne in die dunklen und engen Gänge hinab, um dort zum Beispiel Ammoniten oder andere urzeitliche Schätze ans Tageslicht zu holen. Ein stillgelegter Kalksteinbruch als Schauplatz für einen Krimis ist somit eigentlich eine gelungene Szenerie und ein guter Ausgangspunkt für eine spannende und unterhaltende Geschichte. Doch der Schauplatz ist eben nicht alles, wie man zum Beispiel an dem Debütroman der britischen Autorin Jenni Mills schnell erkennen muss.
Das „Grab aus Stein“ vor allem unter Tage spielt, sorgt zunächst einmal für ein spannende Grundstimmung. Auch der Beruf von Hauptfigur und Ich-Erzählerin Kit Parry ist raffiniert gewählt: Jenni Mills gibt ihrer Heldin den schönen und seltenen Job der Bergbauingenieurin. Trotz Emanzipation ist Bergbau auch heute noch eine echte, kernige und gefährliche Männerangelegenheit. Kaum hat Kit ihren Job in Bath angetreten, um dort mit einem Team die unter der Stadt liegenden alten Steinbrüche zu füllen und zu stabilisieren, bekommt sie auch schon Ärger. Die Bergarbeiter weigern sich, mit ihr unter Tage zu gehen, weil Frauen – ein alter Aberglaube bei Bergleuten – in Mienen und Schächten nur Unglück bringen. Der Geschlechterkonflikt setzt sich auch überirdisch fort: Kit erhält einen anonymen Brief mit widerlichen, pornografischen Fotos, auf denen Frauen gequält werden. Dies weckt in der jungen Frau Erinnerungen an ihre unglückliche Kindheit, die sie ausgerechnet in Bath verlebt hat und in der sie von ihrem jähzornigen Vater grün und blau geschlagen wurde.
Womit wir bei der zweiten Erzählebene des Romans wären. Ausführlich wird von der Autorin Kits Martyrium während ihrer Kinder- und Jugendtagen geschildert. Ihre Mutter, so die vom Vater gepflegte Legende, habe Mann und Tochter einfach sitzen gelassen und sei mit einem Soldaten geflohen. Die junge Kit macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter und durchsteht gleichzeitig die ersten Leiden der Pubertät. Währenddessen geht ihr Vater ein Verhältnis mit einer jungen Bibliothekarin ein. Die Lage spitzt sich zu, als Kit nach einer gemeinsamen Party, die ihre Freundinnen Trish und Poppy für sie arrangiert hatten, vor ihrem prügelnden Vater flüchtet und ausgerechnet in den unterirdischen Kalksteinbrüchen von Bath eine grausige Entdeckung macht.
Lustlos postiert
Wem das noch nicht Schauer genug ist, bekommt von Autorin Mills noch eine kleine Portion Mystery auf den Weg. Die allerdings spielt wiederum in der Gegenwart und handelt von einem alten Mithras-Tempel, der möglicherweise in dem alten Kalksteinbruch verborgen liegt. Kit entdeckt während ihrer Arbeit Zeichnungen an den Kalkwänden. Sie erzählt ihrem – schwulen – Freund Martin, seines Zeichens Archäologe, davon. Der lässt nicht locker und seine Neugier führt ihn in die engen und gefährlichen Gänge unter der Stadt und fast sogar in den Tod. Showdown, Ende.
Reicht das an Klischees? Wenn nicht, es gäbe da noch einige mehr, die ich noch nicht erwähnt habe. Etwa die wiedergefunden Jugendliebe von Kit: Gary Bennet, einst unnahbarer Nachbarsjunge, ist jetzt der Vorarbeiter, mit dem Kit als Bergbauingenieurin zusammen tätig ist und natürlich erkennt er sie nicht wieder. Oder er tut zumindest so. Auch die garstige Trish – erst Freundin, später wird sie sogar noch Stiefschwester – die Kit ihren ersten Mann Nick ausspannt, wäre da zu nennen.
Was bei Jenni Mills sehr schnell deutlich wird, ist ihre Unfähigkeit, reale Figuren zu schaffen. So gruselig und beklemmend die Szenerie der unterirdischen Höhlen und Gänge auch sein mag, so schablonenhaft sind die Charaktere, die Mills in dieser Szenerie agieren lässt. Diese Ansammlung von Stereotypen ist um so bedauerlicher, da die Autorin eine ganz passable Erzählerin ist, wenn es um reine Deskription geht. Das westenglische Bath und seine Landschaft, die Kluft zwischen ländlichem Mief und sexueller Aufbruchsstimmung in den 1970er Jahren sowie das ahnungsvolle und betretene Schweigen der Erwachsenen, die wissen, dass Kit von ihrem Vater misshandelt wird aber nicht eingreifen, schildert Mills recht anschaulich. Leider scheitert sie dann aber an der Führung ihrer Charaktere, die sie reichlich lustlos in ihre Romanlandschaft postiert.
Romanfigurendarstellerin in der Opferrolle
Wo ihre Vorgängerinnen und vermutete Vorbilder wie Barbara Vine oder Joan Aiken, die im Klappentext als Vorreiter der englischen „Suspense Schule“ genannt werden (was immer man sich unter „Suspense Schule“ nun auch vorstellen soll), mit psychologischen Seelenzeichnungen aufwarten, mit Charakteren, die durch Tiefe sowie durch Ecken und Kanten zu überraschen und in der Regel auch zu überzeugen wissen, beherrschen bei Mills eindimensionale Figuren aus dem Horrorkabinett des Kriminalromans das Geschehen. Vom besten, schwulen Freund über einen schmierigen, perversen Kollegen bis hin zur verschmäten Jugendliebe, geistern ausgestanzte Gestalten durchs Bild – keine Menschen.
Besonders abgegriffen wirkt aber die Hauptdarstellerin – Romanfigurendarstellerin wäre eigentlich das richtige Wort – der Geschichte, Kit Parry. Als Mädchen vom Vater geschlagen, als Frau von ihrem Ehemann betrogen, als Ingenieurin in der Männerwelt gemobbt – mehr Opferrolle geht nun wirklich nicht und vor allem ist das auch ihre einzige Funktion, auf die sie die Autorin reduziert. Fazit: Eine interessante Bühne alleine recht eben nicht, wenn flache Figuren darin hölzern agieren – es bleibt ein langweiliges Schattenspiel ohne Schärfe und Kontur. Schade.
Jenni Mils: Grab aus Stein / Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder von der Tann, Alice Jakubeit und Margarete Längsfeld. – Köln : Dumont, 2007
ISBN 13: 978-8321-8008-9Originalausgabe: Jenni Mills : Crow Stone. – London : HarperCollins, 2007
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Kommentare
Ist ja interessant. Da haben drei Leute das Buch übersetzt ?
Parallel ? Hintereinander ? oder … ?
Und ich dachte, Übersetzer bekommen kaum etwas bezahlt.
Beste Grüße
bernd
Ja, lieber Bernd, drei Übersetzer haben mich auch überrascht, ich vermute aber, dass die deutsche Ausgabe recht schnell nach der englischen Veröffentlichung erscheinen sollte. Ich nehme an, zwischen Originalveröffentlichung und deutscher Ausgabe liegt nur eine kurze Zeitspanne.
Dem Roman merkt man es übrigens nicht an, sprachlich ist das solide geschrieben, auch in der Übersetzung.
Dass Übersetzer nicht gerade toll bezahlt werden, hört man ja immer wieder. Vielleicht ein Grund mehr, möglichst viel möglichst schnell zu übersetzen. Wobei ich schon glaube, dass es sinnvoll ist, wenn ein Autor von einem Übersetzer (alles auch in weiblicher Form) in eine fremde Sprache übertragen wird.
Liebe Grüße
Ludger