Platzpatrone: Psycho-Papp-Thriller

vom Krimiblogger

Cry Baby Gillian FlynnGillian Flynn: Cry Baby

Seit einiger Zeit bringt der Frankfurter Scherz-Verlag seine Hardcover-Krimis und -Thriller mit metallisch glänzenden Schutzumschlägen heraus. Ob Elizabeth Corleys letzter Roman Sine Culpa, Andrew Gross Thriller Blut und Lüge oder Gillian Flynns vielgelobtes Debüt Cry Baby – es sind Hochglanzprodukte in edlen Gewändern, very stylish. Äußerlich. „Don’t choose a book by its cover“ – diese alte Leserweisheit gilt natürlich auch für die Edelschwarten aus dem Hause Scherz und vor allem für Gillian Flynns Cry Baby. Der Roman, dessen Originalausgabe Sharp Objects für mehrere Krimipreise nominiert war und sogar den „Ian Fleming Steel Dagger“ der britischen Crime Writers Association (CWA) abräumen konnten, ist exakt das, was der Kritiker Thomas Wörtche als „Designer-Krimi“ bezeichnet: Zur hohlen Form verkommenes Easy-Reading, hier mit der Extraportion Abartigkeit.

Diese Abartigkeit liegt zunächst in der Art der Morde: Innerhalb von mehreren Monaten werden in dem kleinen Kaff Wind Gap, im US-Bundesstaat Missouri gelegen, zwei Mädchen ermordet. Beiden wurden die Zähne gezogen. Die Zeitungsjournalistin Camille Preaker, selbst in dem Ort aufgewachsen, wird von ihrem Vorgesetzten in die Stadt geschickt, um über die Morde Reportagen zu schreiben. Für Camille bedeutet dieser Auftrag eine Reise in ihre eigene Vergangenheit und vor allem eine Konfrontation mit ihrer herrschsüchtigen Mutter. Adora verabscheute ihre erstgeborene Tochter, während sie ihre zweite Tochter Marian abgöttisch liebte. Doch Marian ist tot, an einer mysteriösen Krankheit gestorben. Als Camille ihre Familie wiedersieht, begegnet sie auch ihrer Halbschwester Amma, die dritte Tochter von Adora.

Die aufsässige Amma, gerade mal 13 Jahre alt, terrorisiert ihre Familie und ihre Freundinnen. Als hübsches Mädchen schart sie eine Gruppe von Mädchen um sich, die wie bösartige Hexen durch den kleinen Ort ziehen und jeden verspotten. Nur eine der psychischen Störungen, die Gillian Flynn für ihr Tochter-Mutter-Drama aus dem Hut zaubert. Da wäre zum Beispiel Camilles selbstverletzendes Verhalten (SVV), das sie während ihrer Teenagerzeit an den Tag legte. Bis auf ihr Gesicht ist ihr ganzer Körper mit Narben übersät. Mit spitzen Gegenständen – daher auch der Originaltitel – hat sie sich alle möglichen Wörter in die Haut geritzt. Dabei verzichtet Autorin Flynn nicht auf die platte und dümmliche Verbindung, in der sie der schreibenden Autoaggression ihrer Hauptfigur durchaus eine Orientierung für die Entscheidung Camilles, Journalistin zu werden, zuschreibt. Aus dem Lehrbuch der Psychologie stammt dann auch die Störung, unter der Camilles Mutter leidet: Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Marian, Camilles zweite Schwester, ist nämlich nur deshalb gestorben, weil Adora ihre – eigentlich gesunde – Tochter zu Tode gepflegt hat, um selbst Aufmerksamkeit zu bekommen. Könnte also Camilles Mutter auch die Mörderin der beiden Mädchen sein? Die Antwort findet sich in einem Puppenhaus, in dem die Zähne der ermordeten Mädchen entdeckt werden…

Widerliche Wichsvorlage

Blutende Hautnarben, ausgezogene Zähne, eine mordende Mutter – all das wird von Autorin Flynn stilstisch glatt gebügelt aufbereitet. Gelegentlich wird es eklig und manchmal muffelt es auch, etwa wenn Camille Sex (!) mit dem ermittelnden Polizisten hatte, aber ansonsten sind diese mordenden und böswiligen Furien zur sterilen Psychofratze verkommen. Trotz all der ach so abscheulichen Morde, trotz der Scheinheiligkeit hinter den Fassaden einer amerikanischen Kleinstadt, trotz all der exotischen und tabuisierten Geisteskrankheiten, bleibt der Roman so harmlos wie eine Fahrt in der Geisterbahn. Mit reichlich Psychopopanz inszeniert Flynn eine fade und vorhersehbare Geschichte, die eigentlich nur eines ist: Eine widerliche Wichsvorlage zur seelenlosen Befriedigung der Sensationslust des Lesers.

Es geht der Autorin nicht darum, ernsthaft Menschen mit wirklichen Problemen darzustellen, es geht ihr auch nicht um die fiktive Aufbreitung von Kriminalität, es geht ihr noch nicht einmal darum, eine spannende Geschichte zu erzählen. Gillian Flynn geht es nur darum, aus vermeintlich totgeschwiegenen Themen wie weiblicher Autoaggression schriftstellerisches Kapital zu schlagen. Welche außergewöhnliche Psychostörung wurde noch nicht durch gehechelt? Welche perverse Mordmethode fehlt noch im Reigen der Psycho-Papp-Thriller? Und wie kann man das alles schön sauber an die Leser bringen, ohne dass es ihnen weh tut? Bücher wie Cry Baby sind einfach nur zum Kotzen – da hilft die Hochglanzaufmachung des Schutzumschlages auch nicht.

Gillian Flynn: Cry Baby : Thriller / Aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg. – Frankfurt am Main : Scherz, 2007
ISBN 978-3-502-10094-2

Originalausgabe: Gillian Flynn: Sharp Objects. – New York : Shaye Areheart Books, 2006.