Krimirezensionen für Blogs: Die Kunst des Lesens

vom Krimiblogger

In unserer kleinen Doku-Soap „Krimirezensionen für Blogs“ soll es heute um eine Beschäftigung gehen, die leider viel zu kurz kommt: Das Lesen.

„In Deutschland ist die Lust am Streit unterentwickelt“, behauptete Medienjournalist und Blogger Stefan Niggemeier unlängst im → „Spiegel“. „Es regiert die Liebe zum Kompromiss.“Und:„Die polemische und subjektive Art der Blogs passe (…) schlecht ins heimelige Bild“ – so wird Niggemeier zitiert. Noch schlimmer sieht es aus, wenn man auf den Zustand der Literaturkritik schaut – zumindest sieht Andreas Öhler das so in seiner sehr treffenden → Bestandsaufnahme über die Zunft der Kritiker. So stellt er fest:

„Dass wir ästhetische Maßstäbe jedoch nicht für so sakrosankt halten wie technische, hat nicht nur damit zu tun, dass ästhetische Regeln keinem Naturgesetz unterworfen sind. Der Gemeinplatz „Über Geschmack lässt sich streiten“ hat verdrängt, was gute Literaturkritik ausmacht und ihr in ihren Sternstunden ihren Glanz verleiht: die Fähigkeit, mit Geschmack zu streiten: (…).“


Aussagen, die sich auch auf die kriminalliterarische Kritik herunter brechen lassen. Polemisch und subjektiv – zwei Eigenschaften, die sich in der feuilletonistischen Kritik an Kriminalromanen eher selten finden. Die Lust zur Kontroverse ist so gut wie tot und die Fähigkeit, mit Geschmack zu streiten, ist den Kritikern abhanden gekommen. Oder erinnern Sie sich an einen wirklich großen, öffentlichen und mit Leidenschaft geführten Disput zwischen mehreren Kritikern in den letzten Jahren?

Öhler formuliert den Ausweg aus dem Dilemma so:

„Wenn die Literaturkritik als mühselig erstrittene, aufklärerische Errungenschaft bei aller Marginalisierung durch eine auf Zerstreuung und Unterhaltung ausgerichteten Kultur einen gewissen Stellenwert behalten soll, müssen sich Kritiker wieder auf ihre Urteilskraft besinnen und die Bücher mit dem kalten Auge der Vernunft lesen.“

So stringent Öhler in seiner Argumentation ist, so fehlt jedoch ein entscheidender Hinweis: Wodurch sind Kritiker befähigt, ein Urteil zu fällen? Woraus speist sich die Urteilskraft, auf die wir uns besinnen sollen? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Auf jeden Fall gibt es eine Grundlage, ohne die jede Kritik – oder das, was sich dafür hält – zusammenbricht: Wissen. Was vielen Kritikern – ob nun in der Literaturkritik des Feuilleton oder bei den „Amateuren“ in Blogs – abgeht, ist ein umfangreiches Wissen über das Genre. Wer kann schon auf eine Lese- und Lebenserfahrung zurückblicken, wie sie etwa ein Thomas Wörtche mit einem → Vierteljahrhundert Beschäftigung mit Kriminalliteratur vorweisen kann? Es reicht nicht, die frühen Klassiker – welche sollen das überhaupt sein? – gelesen zu haben. Es reicht auch nicht, sich durch die aktuellen Neuerscheinungen zu lesen.

Der Ratschlag, wer ein guter Autor werden möchte, solle vor allem lesen, lesen, lesen, gilt natürlich erst recht für einen (angehenden) Kritiker. Umfassende Lektüreerfahrung ist der erste Grundstock, um zu Urteilen über Kriminalliteratur fähig zu sein. Das klingt banal, sagen Sie? Offensichtlich ist es so banal, dass es leider immer wieder vergessen wird. Dabei geht es nicht nur darum, „Krimis“ zu lesen, selbstverständlich muss auch ein grundlegendes Wissen über andere „Literaturen“, andere „Genres“ vorhanden sein. „Wer nur von Krimis was versteht, versteht auch von Krimis nichts“ – dieser → Satz von Thomas Wörtche gilt mehr denn je.

Übung
Stelle Dir Deine persönliche Leseliste zusammen: Welche Autoren und Autorinnen hast Du gelesen? Welche Bücher haben Dich besonders beeindruck, welche waren besonders gut, welche schlecht? Wenn Du es bisher nicht getan hast, lege Dir ein Lesejournal oder Lesetagebuch an. Notiere Autor, Buch, Inhalt und Deine Eindrücke. Blogs eigenen sich dafür übrigens sehr gut. Dabei geht es zunächst gar nicht darum, eine fertige Rezension zu schreiben – sammle vielmehr Deine Leseeindrücke und halte sie fest. Baue Dir Deinen Grundstock an „Krimiwissen“ auf. Treibe Dich auch in anderen Genres herum, lese quer, lese viel und führe Tagebuch darüber.

Hinweis: Diese Doku-Soap erhebt nicht den Anspruch, eine Kritikerausbildung zu sein oder ein Literaturstudium zu ersetzen. Sie ist “ergebnisoffen“ und ziellos. Sie ist staubtrocken und öde, damit künftige Krimirezensenten gleich merken, was sie in ihrem Traumberuf erwartet. Für eventuelle Schäden ist der Autor nicht haftbar zu machen.