Das Zentralorgan der Krimikritik
vom Krimiblogger
Ich hatte es ernsthaft in Erwägung gezogen. Einen “Verein“ für Krimikultur – warum eigentlich nicht. Vergiss für einen Moment, was so in den letzten Monaten passiert ist. Schließlich geht es um Krimikultur. Dafür hample ich auch schon seit über zehn Jahren im Netz und auf diversen Veranstaltungen herum. Mal mehr, mal weniger. Doch dann trifft mich → dieser Text wie ein Faustschlag:
“Das ist die herrschende Krimikultur. Mediales Getöse, kenntnislos entfachter Hype, um „das Genre“ aus seiner üblichen Elend des Durchschnittlichen zu heben, hernach von billiger Entrüstung gespeiste Versuche, alles was sich über den Durchschnitt erhebt oder propagandamäßig über ihn erhoben wurde, wieder auf das nivellierende Normalmaß zu drücken. Es gibt Krimikultur, die sich gegen diese Praxis sträubt, wenn überhaupt, dann nur als solistische Veranstaltung, unterbrochen von einigen gewiss lobenswerten Gemeinschaftsaktionen, die aber, weil auch sie letztlich zu solistischen Leistungen werden müssen, nicht viel bewirken.“
Wenn ich zurückschaue auf etwa zehn Jahre, dann kann ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Wertung in der Reihenfolge – sehen (und zum Teil habe ich einiges selbst erlebt und einige der Menschen, die sich damit beschäftigen, getroffen): KrimiWelt-Bestenliste und die dazugehörigen Besprechungen in verschiedenen Zeitungen und bei verschiedenen Radiostationen, Fernsehporträts von Gohlis und Schöne beim ZDF Infokanal, Tagungen zum Thema in Schwerte, Iserlohn und Genshagen, literaturwisschenschaftliche Arbeiten zum Beispiel von Prof. Jochen Vogt, ungezählte Krimifestivals, kaliber38.de, alligatorpapiere.de, krimi-couch.de, krimi-forum.de, krimilexikon.de, einige Blogs zum Thema, Wörtches Buch “Das Mörderische neben dem Leben“, das leider eingestellte Krimitagebuch von Robert Schekulin, Krimirezensionen in verschiedenen Medien, das Syndikat, das Bochumer Krimiarchiv, das Bonner Krimiarchiv von Thomas Przybilka. Diese Liste ließe sich noch einige Absätze lang fortsetzen. Ich empfehle Ihnen da einfach mal den Realitätscheck: Klicken Sie ins → Archiv der “Alligatorpapiere“. Der älteste Beitrag, den ich dort gefunden habe, stammt vom Mai – Juni 2001. Dort finden sich für drei Monate (!) etwa 30 Meldungen über Kritiken, Informationen und Veranstaltungen rund zum Thema Krimi. So viele Meldungen bekommt Alfred Miersch, der die Seite seit dem betreibt, heute an einem Tag, vielleicht auch zwei guten Tagen zusammen.
Damals, als es zwei Deutschlands gab
Sind das alles “solistische“ Veranstaltungen? Man mag ja über die Qualität der einzelnen Angebote munter streiten, aber zu behaupten, dass die derzeitige Krimikultur hauptsächlich aus “medialem Getöse“ besteht, ist schlichtweg Unsinn und ein Schlag ins Gesicht der Leute, die sich öffentlich seit vielen Jahren – einige durchaus länger als Dieter Paul Rudolph – mit großer Begeisterung und mit viel Sachverstand dem Thema Kriminalliteratur widmen. Kriminalliteratur und ihre kritische Betrachtung hat in den letzten zehn Jahren zugenommen. Und diese Auseinandersetzung wird sehr wohl auch von einem größeren Publikum wahrgenommen. “Mehr“ kann man sich natürlich immer wünschen und eine Stärkung der inhaltlichen Qualität selbstverständlich auch.
Was mich an dem aktuellen Text von Dieter Paul Rudolph allerdings noch mehr erschreckt, als jener verstellte und offenbar arg egozentrische Blick auf die Wirklichkeit, ist unter anderem die Forderung nach einer “gemeinsam geschaffenen Krimikultur“. Kultur als zentralistische Veranstaltung, Kritik einem strengen Formalismus untergeordnet, die offenbar ein höheres Ziel anzustreben hat und den Krimi als Ausdruck gemeinsamer Kultur degradiert. Hatten wir das in Deutschland nicht schon mal – damals, als es zwei Deutschlands gab? Und wollen wir das wirklich wieder haben? Die zunehmende Stärke der Krimikultur im deutschsprachigen Raum liegt doch genau im Gegenteil dessen, was Dieter Paul Rudolph vorschwebt: inhaltliche, qualitative und formale Vielfalt. Ein Einzelner kann doch nicht hergehen und Lesern, Autoren und Kritikern vorschreiben, wie Kriminalliteratur und die kritische Auseinandersetzung mit ihr zu seien hat. Es ist schon schlimm genug, dass immer mehr Kulturjournalisten und Literaturwissenschaftler sich zum Beispiel über die Amateure im Internet mokieren, von → User-generated Nonsense faseln und gar – sehr demokratisch – Verbote fordern. All diesen Kulturpessimisten sei ein gelassenerer Umgang mit jenem “Nonsens“ empfohlen und vor allem das Kehren vor der eigenen Türe. Wenn mir mein Publikum in Scharen weg läuft, dann könnte Selbstkritik an meinem Tun und Handeln vielleicht gar nicht so verkehrt sein. Ich jedenfalls lebe und lese lieber mit einigem Unsinn um mich rum, als mit zentral gesteuerten “Krimi-Kritik-Vorgaben“, die mir sagen, wie ich zu lesen, zu kritisieren, zu argumentieren und vor allem zu denken habe.
Dieter Paul Rudolph hat andere Vorstellungen. Eine Horrorvision:
“Eine neue Krimikultur würde also dort ansetzen, wo noch keine Bilder entstanden sind, wo noch Bewegung möglich ist. Sie wäre auch mehr als eine reine special-interest-Liebhaberei. Denn wir reden hier über die inneren Werte des Produkts Krimi, über das, was es im Guten wie im Bösen in die Welt setzt, die es beschreibt und von der es gleichzeitig erschaffen wird. Wir reden über die Degradierung einer Literatur zum Profitfaktor, zum Sinnverderber, zum desensibilisierenden Narkotikum – und wir reden über das, was Krimi auch ist: ein Beschreibungs- und Erkenntnismedium, Lieferant verborgener Informationen und Strukturen. “
Mal davon abgesehen, dass es unmöglich ist, mit einer Kritik dort anzusetzen, wo noch nichts existiert – Objekte einer kritischen Auseinandersetzung müssen schon vorhanden sein und sobald sie existieren generieren sie auch Bilder in unseren Köpfen – sind einige Formulierungen arg verräterisch. Wer den Krimi schon mit seinen eigenen Worten als “Produkt“ klassifiziert – war sicher ironisch gemeint, gell – sollte sich über die “Degradierung“ der Literatur zum Profit eigentlich nicht mehr wundern. Selbstverständlich ist Kriminalliteratur auch immer entstanden, um mit ihr Geld zu verdienen. Darin liegt eine ihrer Wurzeln. Hinzu kommt der “Makel“, dass Kriminalliteratur nach wie vor hauptsächlich als Unterhaltung angesehen wird. Kriminalliteratur hat und hatte aber immer beide Seiten – das Eskapistische und das Realistische. Den meisten Lesern sagt vermutlich das eskapistische Element mehr zu, es bedeutet aber nicht, dass realistische Aspekte – der Krimi als Gesellschaftsroman, als Sensor für gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen, als Spiegel von menschlichen Beziehungen – völlig ausgeblendet würden. Über die ästhetische Umsetzung dieses Spannungsverhältnisses kann man im Einzelfall viel und lange streiten, genauso über die Wertung und Gewichtung dieser beiden Kräfte. Wer sich etwa an den Soziokrimi der 1970er Jahe erinnert, weiß, dass es in Deutschland durchaus eine sehr starke Tendenz zum “realistischen“ Kriminalroman gegeben hat.
Vielfalt statt Zentralismus
Über die künstlerische Umsetzung, über Plot, Sprache, Dramaturgie oder Figurenzeichnungen lässt sich munter diskutieren – und das wird ja auch glücklicherweise getan. Vielleicht nicht immer auf dem Niveau, das den selbsternannten Heilsbringern der Krimikritik vorschwebt, aber es wird sich rege ausgetauscht. Dafür braucht es keine “Bündelung der Kräfte“. Wollen wir wirklich ein Zentralorgan der Krimikritik, womöglich verantwortet von Dieter Paul Rudolph? Diese Forderung ist so absurd, als würde man alle Zeitungen, Zeitschriften und Magazine einstampfen und nur noch ein Zentralorgan für Literaturkritik zu lassen. Nur noch eine Zeitung für den Sport, ein Magazin für Politik, eine Radiosendung für Musikkritik? Ein kultureller Alptraum.
Doch die Absurdität geht noch weiter. Über weite Abschnitte des Textes tut der Autor nichts anderes, als sein Bild der “Krimikultur“ im düsteren Grau auszumalen und zu zementieren und sich vor allem von all den “solistischen“ Veranstaltungen abzugrenzen. Und dann dieser Satz:
“Krimikultur ist nichts, was per Akklamation definiert wird, sie ist ein ständiger Prozess, der Versuch auch, Plattformen zu schaffen, ins Gespräch zu kommen, Dinge zu ermöglichen, die nur eine Gruppe von Menschen ermöglichen können.“
Wie eine solche Diskussionskultur aussieht, → konnten einige Mitstreiter und → Autorinnen schon erleben. Von seinen Ausfällen gegen die stumpfe Leser mal ganz abgesehen. Wenn es etwas gibt, dass Dieter Paul Rudoph sicher nicht sucht, dann ist es das offene Gespräch.
Insgesamt alles recht deprimierend also. Dabei gibt es gerade beim Thema Kriminalliteratur eher einen Grund, positiv auf das zu schauen, was sich in seiner ganzen Bandbreite und Vielfalt in den letzten zehn Jahren getan hat. Natürlich ist weiterhin viel zu tun. Vermutlich – ich bin kein Hellseher – wird sich Vieles ins Internet verlagern. Mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Krimimagazin, wie es Dieter Paul Rudlph unter anderem ja auch vorschwebt, wird es womöglich nie geben. Ob das nun tragisch ist oder doch eher ein Glücksfall, mag jeder selbst entscheiden. Fakt ist, einige der traditionellen Printmagazine wurden in den letzten Jahren eingestellt – in den USA etwa der “Armchair Detective“ – oder sind ins Internet abgewandert, wie etwa die britsche “Crime Time“. In Zeiten, in denen immer mehr klassische Zeitungen, Zeitschriften und Magazine ums Überleben kämpfen, dürfte es wohl schwierig sein, ein solches Magazin auf den Markt zu bringen. Zumal es bereits einige Versuche in den letzten Jahren gegeben hat. Auch das ist etwas, was Dieter Paul Rudolph gerne ausblendet.
Fakt ist allerdings auch, dass es durchaus lebhafte Krimikritik außerhalb des Internets gibt. Oft fundiert, manchmal eher oberflächlich, gelegentlich auch arg dümmlich. Kultur eben. Die lebt von Vielfalt und nicht von den “gebündelten Kräften“ eines Zentralorgans.
Kommentare
Lieber Ludger Menke,
kein Einzelmensch, kein Akademikerklüngel, kein Verlagskartell hätte die Macht, ein normatives ‚Zentralorgan’ zu schaffen. Daher: wenn Sie aus Ekel vor einem solchen Volkshypnoseungeheuer alles Anfangsinteresse an der Erkundung von Zusammenwirkmöglichkeiten Krimifaszinierter aus allen Bereichen (ob nun IG Krimi oder Krimi e.V. oder Ritterorden vom Papierenen Colt) gleich wieder fahren ließen, fände ich das schade. Jede solche Krimirunde wäre doch von Rede und Widerrede geprägt und müsste es auf Diskussionen auch anlegen. Was Sie gerade mit dprs Aufsatz veranstaltet haben, ist das, was so eine IG verbreiten helfen könnte: streitbare Gespräche über Krimi.
Ich habe dprs Text übrigens anders gelesen als Sie. Auch mir geht es so, dass ich mal das linke Auge und mal das rechte Auge zukneifen kann und jeweils ein anderes Bild des Krimimarktes vor mir sehe, ein helles, ein düsteres. Polemisch durchzuformulieren, was der eine Sehnerv meldet – so habe ich dprs Text aufgefasst – hilft mir auch, die abweichenden Informationen des anderen Auges besser zu werten.
Um mal konkret zu werden: ich mag die Tradition und Funktion des Krimis als Ablenkungslektüre, als Karussell für die niederen Leseinstinkte. Und doch beugt mich das berechenbare Normprodukt, das vielen diese Karussellfahrt zuverlässig beschert, manchmal über den Speieimer. Ich mag erzählerische Courage, die sich von simplen Klischees und selbstzufriedener Einfachheit löst. Und ich hasse die literarische Prätention, die glaubt, den armen Krimi mit ihren Zierlämpchen beglücken zu müssen.
Das bekomme ich nie unter einen Hut. Ich kann mich also des Verdachts öfter mal nicht erwehren, dass einer, der mit Schmackes für die eine Sicht eintritt, mit ebenso viel Verve und vielleicht genau so guten Argumenten – und nicht weniger eigener innerer Überzeugung – eine konträre Position vertreten könnte.
Schizophrene Grüße,
Thomas Klingenmaier
Lieber Thomas Klingenmaier,
bitte entschuldigen Sie, dass ich momentan nicht sofort antworte. Ich kann Sie nur um etwas Geduld bis zum Abend bitten, da um mich herum der montägliche Redaktionsalltag tobt.
Herzliche Grüße
Ludger Menke
Lieber Thomas Klingenmaier,
wie am Anfang erwähnt: Ich dachte durchaus, dass ein Verein, eine IG oder „was auch immer“ für „Krimikultur“ sinnvoll sein kann. Welche Form man dort findet, mag wohl eher eine juristische Frage sein. Auf Albernheiten, wie sie sich das „Syndikat“ leistet (offiziell kein Verein, dafür „Vereinigung, darum ein separater Förderverein, damit man an die Kohle der Mitglieder kommt), kann man verzichten. Im Hinterkopf die vielen literarischen Gesellschaften, die es gab und gibt (dass es einst einen „Allgemeinen Deutschen Reimverein“ gab, wusste ich bis dato nicht, gefällt mir aber sehr) – kurz: warum nicht auch ein Verein, eine IG, eine literarische Gesellschaft „Krimikultur“?
Dann aber der „Krimikultur“-Text, Teil 1. Schauen Sie sich den Text, der in der Tat meinen Widerwillen hervorruft, genau an. Wir lesen zunächst einen langen Abschnitt, in dem es um die Rezeption der Romane von Andrea Maria Schenkel geht. Was hätte ein „Verein“ daran besser oder schlechter gemacht? Wäre die Kritik anders – besser – mit den Romanen von Andrea Maria Schenkel umgegangen? Ich erinnere mich sehr gut an Ihre sehr differenzierte Besprechung des letzten Romans „Bunker“, in dem Sie wunderbar die Mechanismen der Kritik vorgeführt haben. Dazu braucht es keinen Verein, dass fand in Ihrer Zeitung statt. Klug, offen, direkt und darum auch immer streitbar. Eine Diskussion hinter „Vereinsmauern“ hätte diesen Effekt und dieses Potential nicht gehabt.
Woran ich mich im weiteren Text störe, ist zum Beispiel das Ausblenden, wenn nicht sogar ein Stück weit die Herabwürdigung vieler „Kolleginnen“ und „Kollegen“, die über Jahre auf verschiedene Art und Weise ihren Beitrag zur „Krimikultur“ leisten und geleistet haben. Dazu sollte man allerdings weder das eine noch das andere Auge zukneifen, sondern versuchen, sich einen möglichst großen Überblick zu verschaffen, ohne die kleinen Nischen zu vergessen. Ist anstrengend, lohnt sich aber. Erst dann sieht man in der Tat viele Facetten, und einige davon sind nicht so schön. Was ich aber nicht erkennen kann ist ein „mediales Getöse“ und auch nicht einen „Hype“ um ein Genre. (Einzelne „Hypes“ um Autoren oder Bücher sehr wohl). Es kommt eben auf das Gesamtbild an und dass scheint mir Dieter Paul Rudolph immer mehr aus den Augen zu verlieren.
Natürlich kann ich mich in die Ecke setzen, „alte“ Krimis mit viel Liebe und Fachverstand aufstöbern und herausgeben und mich dann wundern, warum diese nicht so ankommen bei den potentiellen Lesern. Mag es am Text liegen? Mag es an meinem Umgang mit dem Text liegen? Verführe oder doziere ich? Mag es am Buchumschlag liegen? Mag es an einer zu hohen Schwelle liegen? Mag es am Verlag liegen, dessen Neuerscheinungen es eben nicht auf die Tische der Buchhandlungen schaffen? Gründe, warum bestimmte Bücher nicht funktionieren, gibt es viele. Muss ich deshalb gleich eine Selbsthilfegruppe für missverstandene und ungehörte Krimiautoren und Krimikritiker eröffnen, die vor allem auf die blöden Leser schimpft? Man kann auch sinnvolle Entwicklungen und die Arbeit anderer ausblenden, um sich dann als unverstandener „Held“ der darbende Krimikritiker darzustellen, der die einzige Wahrheit zum Thema Krimi bereithält und sich als Messias feiern lassen. Mir ist diese Selbstverklärung und dieser fast schon religiöse Eifer zutiefst zuwider. Hier wird „Krimi“ genauso missbraucht wie im angeblichen „medialen Getöse“ – als Heilsbringer, als Retter, als „Erkenntnismittel“ um gesellschaftlichen Realitäten auf die Spur zu kommen. Das kann ein Aspekt sein, ich habe aber zu respektieren, dass es andere Sichtweisen gibt.
Vieles liegt noch im Argen. Nur zur Ergänzung: Ich rechne übrigens nicht nur die einzelne Kritik zu dieser „Krimikultur“, sondern auch die vielen kleinen und großen Dinge – Bibliographien, Autorenporträts, Seminare – die diese Kultur in den letzten Jahren mitgeprägt haben. Auf eine sehr faszinierende, spannende und vor allem lehrreiche Art. Letztlich ist die „Kritik“ ein zwar wichtiger Bestandteil dieser „Krimikultur“, aber sie steht nicht alleine dafür. Das sollte man doch bitte nicht vergessen. Und all das macht mir Mut. Ich sehe keinen Grund zu Klagen, wohl aber noch viel Arbeit. Die wird von vielen Mitstreitern geleistet, an vielen Stellen. Wunderbar.
Was die „Normprodukte“ vs. „erzählerische Courage“ betrifft: Ich stimme mit Ihnen da völlig überein. Das Sie bestimmte Leute und deren Ansichten, Argumente und Auffassungen nicht unter einen Hut bekommen, kann ich sehr gut nachvollziehen, geht mir genauso. Darin liegt ja die Vielfalt. Das Wesen der Kultur. Dazu braucht’s keine „Zentrale der Krimikritik“, es braucht die vielen, unterschiedlichen Stimmen. Ein Krimimagazin wäre eben auch nur EINE unter vielen Stimmen. Die finden sich erfreulicherweise immer mehr im Internet, die klassischen Medien scheinen sich, zugegeben, da etwas schwerer zu tun.
Es gäbe noch viel zu schreiben, aber mein Alltag (außerhalb des Wolkenkuckucksheims) fordert seinen Tribut.
Herzliche Grüße
Ludger Menke
Lieber Ludger Menke,
als „Selbsthilfegruppe für missverstandene und ungehörte Krimiautoren und Krimikritiker“ stelle ich mir eine IG Krimi gewiss nicht vor. Unsereins findet seit eh und je Trost in der Kneipe um die Ecke. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine IG vorderhand eine Auswirkung auf die medienhausetablierte Kritik hätte. Die wird schon von so vielen Zwängen hin- und hergeknetet, da findet die IG kein freies Hautzipfelchen mehr, um daran zu ziehen. Was ich mir, nebenbei gesagt, aber sehr wohl vorstellen könnte, ist das Aufblühen von noch ein, zwei Krimiblogs in Folge einer IG.
Was die IG tatsächlich sein und bewerkstelligen könnte? Ich weiß es nicht. Ich fände es aber spannend, auszuprobieren, was dabei herauskommt, wenn sich ein paar Dutzend oder Hundert Interessierte auf eine virtuelle Wiese stellen und fragen: gibt’s was, was wir gemeinsam besser hinbekommen als einzeln?
Ein Projekt schwebt ja auch schon herum: das Krimimagazin. Ich würde mich über eines freuen, auch und gerade eines zum gerollt in die Tasche stecken und mit auf den Waldspaziergang nehmen, Ich lese ganz gerne im Gehen, so wie andere gern hinter Zeitungen im Kaffeehaus sitzen. Vielleicht ist Print nicht mehr finanzierbar, vielleicht wäre das Magazin nur online realisierbar, vielleicht ist es wirklich überflüssig, weil sich der Magazinbegriff vieler Nutzer schneller geändert hat als meiner. Es ist ja wirklich der gleiche Klickaufwand, von einer Online-Magazinseite zur anderen zu kommen wie von einem Blog/Forum/Portal zum anderen. Vielleicht begreifen die Interessierten längst das Krimi-Unterverzeichnis ihrer Bookmarks als Krimimagazin.
Aber eine IG Krimi – falls ihre Mitglieder ähnlich greifreflexverhaftet wie ich sein sollten – wäre doch schon mal eine moralische Unterstützergrupe, die ein paar Leichtgläubige ins Unglück treiben könnte. Andere mögen ganz andere Spontaneinfälle haben, wozu eine IG gut sein könnte.
Sie und ich lesen den dpr-Text „Krimikultur 1“ ganz unterschiedlich. Ich tippe auf literarisches Rollenspiel von einem, der im nächsten Text in die Gegenrichtung ausscheren könnte. Sie sehen die Selbstentlarvung eines im eigenen Saft Verkochten, der nun aus dem Topf kriechen möchte, um der Kim Jong Il der deutschen Krimikultur zu werden.
Aber diese Differenz ist doch für die Frage, ob man einer IG Krimi erst mal den Vertrauensvorschuss des Handhebens gibt, ganz unerheblich. Die IG wäre, wie Sie selbst für die (Krimi)Kultur konstatieren, bunt, vielfältig, widersprüchlich. Will heißen: sollte sich herausstellen, dass dpr nicht so ist, wie Sie ihn deuten, müsste man nachgerade jemand anderen bitten, diese Rolle zu übernehmen, weil man einen verbitterten Elitärtyrannen dringend auch dabei haben sollte.
Weil auch mich jetzt der Arbeitstag unterstrudelt, nur eine kurze Zustimmung noch: wenn ich von Krimikultur rede, meine auch ich nicht bloß Text & Kritik.
Schöne Grüße einstweilen,
Thomas Klingenmaier
Lieber Thomas Klingenmaier,
nun will ich gar nicht viel gegen eine IG sprechen und ich wünsche allen Beiteiligten – ernsthaft – viel Erfolg dabei.
Bitte sehen Sie mir meine Zweifel aber nach. Krimikultur – zumindest die, die sich Dieter Paul Rudolph vorstellt – wird vermutlich eine „special-interest-Liebhaberei“ bleiben. Die große Masse fühlt sich offensichtlich bei Angeboten wie der Krimi-Couch bestens aufgehoben – was ich überhaupt nicht tragisch finde.
Magazine und Magazinversuche hat es reichlich gegeben. Ich ziehe den Hut vor Ekkehard Knörer und Mitstreiter, die vor einigen Monaten „ihre“ Filmzeitschrift gelauncht haben. Schönes Ding, das. Eigentlich sollte man doch annehmen, dass es mindestens ebenso viele begeistere Krimileser gibt wie Cineasten, die „Cargo“ abonnieren.
Was aber lese ich heute: „Criminalis“ wird eingestellt. Schade. Es gibt, um es kurz zu machen, meiner Meinung nach so gut wie keine ausgeprägte Krimitradition im deutschsprachigen Raum, die ein solches Magazin auf halbwegs solide Beine stellen könnte. Auch wenn das jetzt arg ketzerisch klingen mag: Hat Dieter Paul Rudolph nicht einige Rückschläge einstecken müssen? Das „Krimijahrbuch“, zu dessen „Rettung“ neulich aufgerufen wurde, „wtd – die Zeitschrift“, gerade mal vier Ausgaben, die „Criminalbibliothek“, die offenbar nicht wirklich ein Verkaufsrenner ist? Ist das nun Mut oder Verzweiflung? Selbstausbeutung oder Selbstdarstellung? Und muss er sich deshalb so lautstark von all den Leuten abgrenzen, die seit Jahren fleißig an einer bunten Krimikultur arbeiten?
Als ich neulich die Stashower-Biografie über ACD gelesen habe, erschien mir vor meinem geistigen Auge bei den letzten Kapiteln immer auch ein wenig das Bild von dpr. Und das war sicher kein Spiritismus.
Herzliche Grüße
Ludger Menke