„Es ist nicht wahr.“

vom Krimiblogger

Magdalen Nabb copyright protected
Eine Begegnung mit Magdalen Nabb

Eine zierliche, fast zerbrechlich wirkende Frau. Als ich Magdalen Nabb im Hotel „Bellevue“ treffe, erkenne ich eine kleine, in schlichtes Schwarz gekleidete Frau. Sie spricht leise und bedächtig. „Wo wollen wir das Interview führen?“, erkundigt sie sich. Kein leicht zu lösendes Problem, denn das Hotel ist in diesen Tagen die Unterkunft vieler Autorinnen und Autoren der Hamburger Lesetage. Alle Räume, die etwas Ruhe böten, sind belegt. Notgedrungen setzten wir uns in die Korbsessel im Wintergarten, der eigentlich nur ein etwas breiterer Durchgang zu einem weiteren Zimmertrakt ist. Ein ständiges Kommen und Gehen, Zimmermädchen huschen vorbei, vier Tische weiter wird ebenfalls ein Interview geführt. Durch die hohen Fenstern blicken wir in einen mit Planen abgedeckten Innenhof, es wird gebaut. Die Arbeiter haben vermutlich schon Feierabend, Baulärm ist nicht zu hören.

Der triste Hamburger Hotelalltag ist schnell vergessen, als Magdalen Nabb über Florenz erzählt. Ob das Thema der eigenen Identität in einer fremden Kultur, dass in ihrem aktuellen Roman „Eine Japanerin in Florenz“ eine Rolle spielt, auf biografischen Erfahrungen beruht, möchte ich wissen. „Nein, es ist nicht biografisch.“ lautet ihre bestimmte Antwort. „Es ist ein Teil des Lebens in Florenz. Nicht in meinen Leben, aber in Florenz. Jeder außerhalb der Stadtmauern ist dort ein Fremder. Ein Süditaliener, wie Maresciallo Guarnaccia, ist viel mehr ein Ausländer als ich es bin, denn die Engländer und die Florentiner stehen sich nahe.“ erklärt sie. Die Engländer halfen den Florentinern, als sie sich von der österreichischen Vorherrschaft lösten und die Engländer haben die Florentiner beim Risorgimento unterstützt. Ihr Guarnaccia hingegen bleibt ein Fremder, stellt sie klar. „Die Menschen in seinem Viertel kennen ihn mittlerweile, mögen ihn auch, aber er bleibt ein Ausländer. So ist das Leben in Florenz, mit mir hat das aber nichts zu tun.“

Dennoch hat sich Florenz als eine internationale Stadt etabliert, was vor allem an der Kunst liegt, als Zentrum der internationalen Kunst und natürlich auch der Kunstgeschichte. Als wichtigen Wendepunkt in der jüngeren Stadtgeschichte sieht Magdalen Nabb die Flut von 1966. „Plötzlich wurde Florenz wieder berühmt, weil viele Menschen nach Florenz kamen, um zu helfen. Sie kamen um zu helfen und zu arbeiten, später dann wurde die Stadt ein Ort, an dem man Urlaub macht. So begann der Massentourismus in der Stadt.“

Eine Japanerin in Florenz„Sie wollen nicht mehr pittoresk sein“

Magdalen Nabb lebt seit 1975 in der Stadt am Arno. Sie kam damals dorthin, um ihre Kunstfertigkeit als Töpferin zu verfeinern. „Ich war bereits eine ausgebildete Töpferin, aber ich lernte viel bei einem florentinischen Töpfer. Ich hatte zwar schon im Maiolica-Stil gearbeitet, aber dort konnte ich eine ganz spezielle, florentinische Art der Maiolica lernen.“ Die kleinen Läden der Kunsthandwerker sind die Schauplätze in ihrem aktuellen Roman. Es ist, wie sie erklärt, eine eigene, konservative Welt, die vom Aussterben bedroht ist. „All diese Goldschmiede, Schuhmacher oder Klöpplerinnen könnten verschwinden. Vor allem, weil es schwierig ist, Lehrlinge zu finden. Das liegt zum Teil an Änderungen im Gesetz. Früher zahlten die Auszubildenden ihre Meister dafür, dass sie unterrichtet wurden. Eine, wie ich finde, sinnvolle Vereinbarung. Der Lehrling musste lange arbeiten, bevor er dann selbst ein Meister wurde. Heute hingegen fängt ein 15-jähriger Junge als Lehrling an und kann zunächst nichts. Der Meister zahlt ihm ein kleines Salär, dazu kommen die Kosten für Versicherungen und ähnliches, wodurch sich die Ausgaben für den Lehrmeister verdoppeln. Nehmen wir an, ein Lehrling erhält 1.000 Euro im Monat, dann kostet er den Meister 2.000 Euro. So zahlt er 2.000 Euro für einen Jungen, der erst lernen muss und für diese Ausbildung muss er als Meister ja auch noch einiges von seiner eigenen Arbeitszeit aufbringen. So kommt es, dass die meisten Lehrlinge bei den Kunsthandwerkern heute Ausländer sind, die es sich leisten können, eine solche Ausbildung zu bezahlen. Es ist traurig, dass die Florentiner nicht mehr selbst solche Ausbildungen absolvieren, aber solange es überhaupt noch jemand tut, ist es auch gut.“

„Das größte Problem ist,“ stellt Magdalen Nabb weiter fest, „dass die Kunsthandwerker selbst ihre Kinder nicht mehr dazu anhalten. Sie wollen, dass ihre Kinder zur Universität gehen. Sie wollen nicht mehr pittoresk sein und Touristen unterhalten. Das ist wirklich ein Problem, denn alte Traditionen könnten verloren gehen. Wenn also, wie in dem Buch, jemand aus Japan kommt – und viele, viele, viele Japaner tun es – um zu lernen, wie man Schuhe macht und dafür bezahlt, ist dies besser, als wenn es überhaupt niemand mehr lernen würde.“

Die Welt der florentinischen Kunsthandwerker, die sie aus eigener Erfahrung kennt, liegt Magdalen Nabb am Herzen. Der Schuhmacher, der in ihrem Roman beschrieben wird, ist der Wirklichkeit entliehen, ebenso die japanischen Lehrlinge, die es schon seit vielen Jahren in Florenz gibt. „Es ging mir darum, über etwas zu schreiben, was in der Welt um mich herum passiert. Ich kenne den Schuhmacher, seit ich in Florenz lebe. Es ist auch wahr, dass dieser Schuhmacher in Japan sehr berühmt ist, besonders in Tokio. Er verkauft viele seiner Schuhe dorthin und er ist immer wieder in den japanischen Modemagazinen abgebildet.“

Tod einer Queen„Du hast Dir das ausgedacht!“

Der Schuhmacher ist nur ein Beispiel dafür, wie fein Magdalan Nabb zwischen Dichtung und Wahrheit in ihren Romanen unterscheidet. Wahre Begebenheit werden von ihr aufgegriffen, fließen dann verfremdet in ihre Geschichten ein. Auch die Kriminalfälle. „Ich studiere echte Kriminalfälle, besonders dann, wenn ich über eine bestimmte Art des Verbrechens schreiben möchte. In der Regel sind es zwei oder drei Kriminalfälle, von denen ich durch die Carabinieri erfahre. Dann schreibe ich daraus meine eigenen Geschichten, die glaubhaft sein müssen. Wirkliche Verbrechen finden Sie, wenn ich mich richtig erinnere, nur in zwei meiner Bücher: In „Das Ungeheuer von Florenz“ und „Tod einer Queen“. So basiert „Tod einer Queen“ auf einem wahren Fall, der Täter sitzt immer noch im Gefängnis in Florenz. An dieser wahren Geschichte musste ich nicht viel ändern, sowohl was die Tat als auch die Ermittlungen betrifft, die übrigens sehr interessant waren und schnell vorwärts gingen. Nur bei dem Täter habe ich etwas geändert. Der echte Mörder kam aus Südamerika.“

Sie will, das stellt Magdalen Nabb mit fester Stimme klar, keine Geschichten machen. „Ich kannte Autoren, die sagten zu mir „Oh, ich schreibe gerade über einen Serienmörder“ oder ähnliches und dann gaben sie mir ihr Buch und ich sagte: „Nein, Du hast Dir das ausgedacht! Es ist nicht wahr. Es ist nicht wahr in einem moralischen Sinn. Und Du kannst nicht einfach etwas in die Geschichte herein werfen, weil Du Dich gerade danach fühlst. Du kannst nicht einfach eine weitere Leiche ablegen, nur, weil die Geschichte droht, langweilig zu werden.“ Das sind Erfindungen. Das Buch muss wahr sein, es ist die Wahrheit des Buches selbst. Du kannst nicht vorgeben, dass eine Frau loszieht und reihenweise mordet in der gleichen Art, in der es Männer tun. Sie tun es nicht. Du musst die Wahrheit, den Kern einer Sache kennen und dann kannst Du daraus eine Geschichte kreieren, aber Du darfst nichts erfinden. Du kannst nicht so tun, als ob Menschen sich in einer Art verhalten, wie sie es nie tun würden. Das ist nicht logisch, glaubhaft und nicht wahr. Ein sehr schwieriges Problem für einen Autor.“

Dementsprechend sind auch Cozies nicht ihre Sache. Sie kannte nicht einmal den Begriff, bis sie nach Amerika kam. „Ich reiste zum Bouchercon nach Washington und hörte dort zum ersten Mal den Begriff Cozy. Ich hatte vorher nie davon gehört, weil ich keine Kriminalromane lese. Einzige Ausnahme sind die klassischen Kriminalromane. Ich habe Conan Doyle gelesen, ich habe Simenon gelesen, ich habe Raymond Chandler gelesen, den ich übrigens für brillant halte. Aber es erscheinen jeden Monat so viele Krimis und ich lese sie nicht. Ich lebe auch nicht in England, daher war mir diese Terminologie von „Stand-alone“ und „Cozies“ nicht vertraut.“

Tod eines Engländers„Er war die ganze Zeit bei mir“

Vertraut hingegen waren der jungen Magdalen Nabb die Romane von Georges Simenon. Mit dem Schöpfer des Kommissars Maigret führte sie bis zu seinem Tod eine Korrespondenz. Getroffen hat sie ihn nie. „Als ich nach Florenz kam, begann ich mit dem Schreiben. Ich schrieb einige Kurzgeschichten und ein Schauspiel, das in London aufgeführt wurde. Dann begann ich meinen eigenen Weg als Autorin zu suchen. Während dieser Zeit dachte ich nicht bewusst darüber nach, aber während dieser Zeit las ich eine Menge Simenon. Ich las sie mit einer Art Verzweiflung. Ich war hungrig nach ihnen. Ich konnte es mir nicht leisten, sie mir neu zu kaufen, aber ich musste sie haben. So habe ich sie gebraucht gekauft. Ich hatte immer einen Simenon bei mir, egal wohin ich ging. Wie ein Abhängiger. Aber ich brachte dies nicht bewusst in Verbindung zu meinem eigenen Schreiben. Mir wurde nur klar, dass ich über Florenz schreiben wollte. Ich begann einfach, ich schrieb und als ich den ersten Roman fertig hatte, wurde mir klar, das Simenon die ganze Zeit über bei mir war. Erst als ich mein erstes Buch gedruckt in den Händen hielt, wurde mir klar, warum ich seine Bücher brauchte. „Da geht etwas vor“, dachte ich mir, also schickte ich ihm mein erstes Buch“.

Simenon antwortete ihr und schrieb für ihren dritten Roman „Tod im Frühling“ ein Vorwort – etwas, was Simenon für keinen anderen Autor getan hat. Als er 1989 starb, verlor sie einen guten Freund und Mentor, den sie nie getroffen hat. Eine verpasste Chance? Magdalen Nabb ist sich nicht so sicher: Einerseits wäre es schön gewesen, ihn zu treffen, andererseits wären da die Sprachschwierigkeiten gewesen. Sie schrieb ihm in Englisch, er antwortete auf Französisch. Magdalen Nabb bedauert es, aber sie ist auch erleichtert. „Ich habe seine Briefe und seine Bücher und Simenon ist immer noch bei mir“.

Eine halbe Stunde im Wintergarten ist vergangen, viel zu kurz. Der zierlichen Frau, die mit soviel Elan und Wärme über ihre Wahlheimat Florenz, über wahre und erfundene Verbrechen und über ihre Freundschaft mit Simenon spricht, hätte ich gerne noch länger zu gehört, gerne noch mehr gefragt. Zum Glück gibt es ihre Bücher.