Australischer Stinkefinger

vom Krimiblogger

Kalter August von Peter TemplePeter Temple: Kalter August

»Man will nicht mehr wissen warum, sondern wer.« lässt Peter Temple seinen Hauptcharakter Joe Cashin in einem der vorderen Kapitel seines Romans »Kalter August« sagen. Cashin, ein Polizist aus Melbourne, beantwortet so die Frage seiner Mutter, warum man einen alten, wehrlosen Mann zusammenschlagen muss, wenn man ihn doch »nur« ausrauben will? Cashins knappe Antwort, genährt aus jahrelangem Polizistenfrust, gibt die Richtung des Romans vor, der hierzulande euphorisch von der Kritik aufgenommen wurde: Die Psychologie im Kriminalroman spielt, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle, was zählt sind Fakten und Realismus. Dabei ist es gerade diese Überbetonung des Realismus, der die Schwächen von Temples Roman aufzeigt und die geradezu exemplarisch für viele Polizeiromane sind.

Auf den ersten Blick ist der achte Roman des in Südafrika geborenen Peter Temple, der 1980 das erste Mal nach Australien kam und dort seit einigen Jahren lebt, eine perfekt erzählte Geschichte. Hauptfigur Joe Cashin ist an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt, in das kleine Kaff Port Monro. Hier will er die Erinnerung an seinen letzten Polizeieinsatz hinter sich lassen, bei dem ein junger Kollege ums Leben kam und er selbst schwere Verletzungen davon trug. Um körperliche und seelische Schmerzen zu vergessen, will er das heruntergekommene Haus seines Vorfahren Tommy Cashin wieder herrichten. Doch dann wird Charles Bourgoyne, ein älterer und wohlhabender Fabrikant aus dem Ort, brutal in seinem Haus überfallen und beraubt. Cashin wird in die Ermittlungen eingebunden und lernt so auch den rassistischen Kollegen Hopgood kennen.

Drei junge Aborigines sollen die Täter sein, eine verschwundene Uhr des Opfers führt Cashin und seine Kollegen auf ihre Spuren. Als die Polizisten die Jungs auf offener Straße stellen wollen, kommt es zu einer wilden Schießerei bei der zwei der drei mutmasslichen Räuber sterben. Der dritte Junge überlebt und wird zunächst ins Krankenhaus eingeliefert. Doch dann verschwindet auch er und einige Tage später wird seine Leiche an der »Broken Shore« genannten Küste gefunden. Für die leitenden Ermittler scheint der Fall damit abgeschlossen – die mutmasslichen Täter sind alle tot und auch ihr Opfer, der alte Charles Bourgoyne hat mittlerweile das Zeitliche gesegnet. Allein Joe Cashin glaubt nicht an die Schuld der drei toten Jungen, sondern unternimmt eigene Nachforschungen und schon bald steht das Opfer als brutaler Kinderschänder da, der seine gerechte Strafe bekommen hat.

Ein typischer Roman-Polizist

Stilistisch kann Temple durchaus überzeugen: Seine Sprache ist reduziert und dicht, knappe Dialoge sind eingebettet in eine gradlinige, einfache Plotführung. Der Roman wird fast ausschließlich aus der Sicht des Polizisten Cashin geschildert, wobei Temple chronologisch erzählt, nur unterbrochen durch die Erinnerungen und Flashbacks Cashins, die sehr elegant in die laufende und stetig vorantreibende Handlung eingebunden sind. Mit einfachsten erzählerischen Mitteln erreicht Temple eine große Wirkung: Kluge und plastische Darstellung des Lebens in einem australischen Kaff – wäre da nicht ein arg platter psychologischer Realismus, der so unglaubwürdig ist, dass man sich als Leser eher im Märchenwald als in der trostlosen, australischen Pampa wieder findet.

Schärfen wir unseren Blick auf Temples Roman durch einen Exkurs in die psychologische Figurenführung des Autors. Cashin ist ein gebrochener Polizist, den bereits zu Beginn des Romans Schuldgefühle plagen. Er fühlt sich verantwortlich für den Tod eines jungen Kollegen. Im Laufe der Handlung lädt er – vermeintlich -weitere Schuld auf sich, schließlich sterben drei Tatverdächtige. Dazu kommen reichlich private Probleme: Cashin ist sich unsicher, ob er der Vater eines unehelichen Kindes ist. Sein schwuler Bruder Michael unternimmt einen Selbstmordversuch – und dass, obwohl Cashins Mutter ihn im Vorfeld mehrfach gebeten hatte, sich um Michael zu kümmern. Michael wird zwar gerettet, doch nun erfährt Cashin, dass sein Vater, dessen Tod schon länger zurück liegt, Selbstmord begangen hat. Außerdem ist da auch noch ein Landstreicher, den Cashin bei sich zu Hause untergebracht hat. Kurz: Cashin ist ein typischer Roman-Polizist, der beruflich wie privat viel, viel Leid ertragen muss.

Nun kommt ja laut einem Sprichwort ein Unheil selten allein. Mag sein. Als gebrochener Superheld bringt Cashin, trotz all des Leids, dann aber immer noch die Kraft auf, die wahren Hintergründe der Ermordung von Charles Bourgoyne aufzudecken, anstatt allen den Stinkefinger entgegen zu strecken. Das ist ein Menschenbild, dem wir nicht nur sehr oft in modernen Polizeiromanen begegnen sondern das schlichtweg unglaubwürdig und großer Murks ist. Der Altruismus ist nicht tot, er lebt in den Figuren »realistischer« Polizeiromane weiter.

Peter Temple mag ein guter Stilist sein, wobei auch hier leise Zweifel angebracht sind, denn Betonungen wie »Broken Shore« (gebrochene Küste) oder »Hop(e)good« (hoffe auf Gutes) als Name für einen rassistischen und korrupten Polizisten sind schon hart an der Grenze zum Kitsch. Nicht gelungen sind ihm auf jeden Fall realistische und glaubwürdige Charaktere. Es kommt eben nicht nur auf das einfache »Wer?«, sondern auch auf ein nachvollziehbares »Warum?« an.

Peter Temple: Kalter August / Deutsch von Hans M. Herzog. – München : C. Bertelsmann, 2007
ISBN 978-3-570-00950-5

Originalausgabe: Peter Temple: The Broken Shore. – Melbourne : The Text Publishing Company, 2005

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