Akzente durch Qualität

vom Krimiblogger

Interview mit Dr. Rainer Moritz zum ersten Hamburger Krimifestival

Er gehört zu den Hintermännern des ersten Hamburger Krimifestivals: Dr. Rainer Moritz ist Leiter des Literaturhauses Hamburg und hat zusammen mit dem „Abendblatt“-Redakteur Volker Albers und dem Buchhändler Christian Heymann die sechs kriminellen Tage in Hamburg geplant und durchgeführt. Wie es zu der Idee des Festivals kam, welche Akzente mit dem Programm gesetzt werden sollten und wie es mit dem Krimifestival weitergehen soll, hat er mir in einem kurzen Gespräch verraten.

krimiblog.de: Es gibt in München ein Krimifestival, es gibt den „Mord am Hellweg“ im Ruhrgebiet und nun das erste Hamburger Krimifestival. Wird Krimi immer wichtiger?

Dr. Rainer Moritz: Ich glaube, man muss nur auf die Bestsellerlisten in Deutschland schauen, um zu sehen, dass diese Gattung sich höchster Beliebtheit erfreut, allerdings nicht erst seit zwei, drei Jahren. Wenn man zehn, fünfzehn Jahre zurückschaut war es früher nicht viel anders, aber der Krimi selber hat einfach mehr Zuspruch bekommen. Mittlerweile auch von Lesern, die früher nie Kriminalromane gelesen haben. Das Genre hat sich, auch im deutschsprachigen Raum, verändert. Es sind Autoren hinzugekommen, die man früher nur in der „ernsthaften Belletristik“ vermutet hätte. Dass heißt, es sind hier neue Formen entstanden, auch literarischere Formen sicherlich, und das war einer der Gründe, hier in Hamburg endlich ein Krimifestival zu veranstalten.

Wir haben gesehen, dass es das Bedürfnis gibt, Hamburg ist eine Krimistadt, nicht nur von der Literatur her, sondern auch vom Film und vom Fernsehen. Es gibt viele Autoren, die Krimis schreiben und in Hamburg leben. Und es haben sich Beteiligte zusammengefunden, in dem Fall das Hamburger Abendblatt mit Volker Albers, die Buchhandlung Heymann und das Literaturhaus, die alle fast unabhängig voneinander gesagt haben, wir wollen so etwas angehen. Das Schöne daran: Die Partner haben sich ohne großes Brimborium zusammengefunden und mit der Hilfe von einigen Verlagen ein doch ordentliches Programm relativ schnell auf die Beine gestellt.

krimiblog.de: Wie lange haben die Planungen gedauert?

Dr. Rainer Moritz: Man muss unterscheiden zwischen ersten Überlegungen, ersten Kontakten: Ich habe mit Volker Albers schon vor gut eineinhalb, zwei Jahren darüber gesprochen. Dann kam Peter Lohmann, früher Verleger beim Verlag am Galgenberg der damals mit bekannten Krimis hervorgetreten ist, jetzt Verleger des S. Fischer Verlages. Auch von dieser Verlagsgruppe Holtzbrinck kam die Idee, ob man das in Hamburg nicht auch mal probieren könnte. Dann haben wir mit Herrn Heymann Kontakt aufgenommen. Andererseits: Die ganz konkrete Planung – wann wollen wir das machen, welche Autoren wollen wir einladen, welche Orte sollen es sein – das hat erst im letzten dreiviertel Jahr stattgefunden. Die Zeit war also nicht so lang, um das auf die Beine zu stellen, aber wir haben – und das ist interessant – bei den Verlagen und Autoren sehr schnell Zuspruch gefunden. Dass heißt, wir mussten nicht überzeugen – gerade bei den Verlagen muss man ja manchmal jemanden zum Futter tragen – sondern das Bedürfnis in Hamburg auch ein Krimifestival zu haben war sehr groß, und die Bereitschaft auch Autoren nach Hamburg zu locken war groß. Das beste Beispiel ist vielleicht Jilliane Hoffman, die eigens für ihre Lesung hier aus den USA einfliegt.

krimiblog.de: Wie kann man sich denn die Programmarbeit vorstellen? Gibt es da von Ihrer Seite Präferenzen, dass Sie sagen, den Autor, die Autorin hätte ich gerne? Oder hängt es davon ab, wen Ihnen die Verlage anbieten?

Dr. Rainer Moritz: Es ist beides. Letztlich ist es nicht so sehr unterschiedlich vom „normalen“ Literaturhaus-Programm. Auch dort gibt es Kooperationen mit Verlagen, aber auch dort ist das Literaturhaus – wie in München oder Stuttgart – darauf bedacht, Akzente zu setzen, selber Schwerpunkte zu setzen. Wir haben mit Volker Albers in unserem Programmkomitee einen renommierten Kritiker, der spezialisiert ist auf Kriminalromane. Ich selber kenne mich auch ganz ordentlich aus. Dass heißt, wir haben sehr früh überlegt: Was ist einerseits an Neuerscheinungen da? Ganz konkretes Beispiel ist Åke Edwardson, der im nächsten Frühjahr einen Roman haben wird und da war das Interesse des Verlages beispielsweise geringer, ihn jetzt aufs Krimifestival zu holen. Dort ist natürlich die Neigung höher, wenn das neue Buch da ist. Das ist ganz verständlich.

Aber nichtsdestotrotz war von vorn herein unser Bestreben, eine Mischung aus nationalen und internationalen Autoren an Land zu ziehen, bekannte und unbekannte Autoren an Land zu ziehen – aber natürlich auch große „Lockvögel“. Jedes Festival braucht natürlich auch sehr bekannte Autoren, wenn Sie zum Beispiel an die Eröffnungsveranstaltung mit Ingrid Noll und Petra Hammesfahr denken. → Andrea Maria Schenkel – vor drei Jahren kannte sie niemand, jetzt einer der großen Stars der deutschen Krimiszene sollte auch unbedingt dabei sein. Wir haben aber auch darauf geschaut, dass Hamburger Autorinnen und Autoren vertreten sind und das auch originelle Veranstaltungsformen möglich sind. Zum Beispiel mit Carsten Henn, der in Rindchens Weinkontor mit seinen Krimis, die viel mit Alkohol und Wein zu tun haben, gelesen hat.

Volker Albers hat das federführend geplant, aber wir waren immer im Austausch und ich selber habe ihn auch immer wieder mit neuen Ideen und Autoren „belästigt“, neue Autorennamen ins Spiel gebracht. Das hat sich alles sehr harmonisch ergeben, weil jeder Partner in diesem Trio einen eigenen Verantwortungsbereich hatte. Herr Heymann von der Buchhandlung Heymann hat zunächst einmal das finanzielle Risiko abgefangen. Das war sehr wichtig, ohne diese Unterstützung hätte das Festival nicht stattfinden können. Das Hamburger Abendblatt hat sehr viel Marketing betrieben, im eigenen Blatt viele Anzeigen geschaltet, hat sich sehr stark auch um Sponsoren gekümmert – gerade auch für die Eröffnungsveranstaltung. Wir als „armes“ Literaturhaus haben unsere Erfahrungen – Vertragsabwicklung, Veranstaltungsabwicklung – eingebracht. Wir haben zwei Mitarbeiterinnen, die sich gerade in den letzten Wochen sehr intensiv um das Festival gekümmert haben und zwar was die Organisation und Logistik angeht.

Kein David Copperfield

krimiblog.de: Aber es fällt schon auf, dass die – ich nenne es mal „Eventisierung“, wo es mehr um skurrile Orte und Veranstaltungen geht – in den Hintergrund gerückt ist und eher die Literatur im Vordergrund steht.

Dr. Rainer Moritz: Das war uns ganz wichtig. Das mag man als traditionell bezeichnen, aber ich war immer etwas skeptisch wenn sich die Literatur zu weit von ihrem eigentlichen Gegenstand entfernt. Wenn man verzweifelt so tut, das wir mit irgendwelchen Showacts konkurrieren. Natürlich: Die Lesung mit Jan Costin Wagner und Heinrich Steinfest hat auch im Strafjustizgebäude stattgefunden, aber in einem sehr schönen Raum, der Grundbuchhalle. Aber wir haben immer gesagt, es müssen die Autoren, die Qualität der Werke im Vordergrund stehen. Wir wollen dann die Stadt öffnen, dass heißt nicht nur Veranstaltungen bei Heymann, dem Abendblatt oder dem Literaturhaus, sondern möglichst viele Orte bespielen. Auch um die Leute über die Stadt zu verteilen, um verschiedene Stadtteile zu berücksichtigen. Aber wir waren uns alle einig, dass wir nicht auf Teufel komm raus so tun sollten, als hätten wir nun einen Showact mit David Copperfield.

krimiblog.de: Offensichtlich scheint das ja aufzugehen. Sobald der Vorverkauf gestartet war, waren über die Hälfte der Veranstaltungen schnell ausverkauft.

Dr. Rainer Moritz: Darüber waren wir sehr glücklich. Wir hatten das natürlich gehofft, einfach durch die Qualität des Programms. Sie hatten Friedrich Ani erwähnt, aber auch Veit Heinichen, ich selbst habe gestern die Veranstaltung mit Heinrich Steinfest und Jan Costin Wagner moderiert – zwei ganz herausragende deutschsprachige Autoren. Wir hatten die Hoffnung, dass das gut angenommen wird, dass das Publikum neugierig wird. Es besteht immer die Gefahr, wenn Sie an einem Abend drei, vier Veranstaltungen gleichzeitig haben, dass sie sich gegenseitig kannibalisieren, wie man so schön sagt. Wird eine Veranstaltung darunter leiden? Aber unsere Erfahrungen aus den ersten Tagen zeigt, dass eigentlich alle Veranstaltungen sehr gut angenommen worden sind, etliche waren ausverkauft. Wir können also noch vor Ende der Veranstaltungen sehr zufrieden sein. Deshalb haben alle Beteiligten, auch Herr Heymann hat das auch schon sehr früh getan, nach zwei, drei Tagen, signalisiert kein einmaliges Festival zu machen, sondern es im nächsten Jahr zu wiederholen. Es also zu einer festen Einrichtung in Hamburg zu machen.

krimiblog.de: Gibt es schon erste Andeutungen, was da passieren wird?

Dr. Rainer Moritz: Nein. Wichtig war für uns – und das haben wir auch den Verlagen signalisiert – wir wollen es erst einmal versuchen. Die Verlage haben gesagt: „Wir finden das gut.“ Die Autoren freuen sich natürlich, wenn sie nach Hamburg kommen können, auch hier auf internationale Autoren treffen können. Es gibt dann ja im Hotel Bellevue auch immer noch eine Zusammenkunft der Autoren nach den Veranstaltungen. Es war also klar, wir wollen das zu einer Einrichtung machen. Natürlich wäre uns das schwerer gefallen, wenn das erste Krimifestival schlecht besucht worden wäre. Es hat sich auch von der Atmosphäre gezeigt, das es ausgesprochen positiv aufgenommen worden ist.

Wir werden uns im Dezember noch einmal zusammensetzen, noch einemal Revue passieren lassen – was können wir besser machen, was hat besonders gut geklappt –
und werden dann sicher nicht so herangehen, dass wir sagen, wir wollen im nächsten Jahr doppelt so groß werden. Wir werden kontinuierlich arbeiten, vielleicht noch einen Tag dazu nehmen, das hängt natürlich von den Autoren und den Büchern ab, die im nächsten Jahr zu erwarten sind. Ich halte auch nichts davon, jetzt zwanghaft in die Größe zu gehen und zu sagen: Wir wollen jetzt 50 Veranstaltungen! Dieses Jahr waren es 15 Veranstaltungen, lassen Sie uns im nächsten Jahr 17, 18 Veranstaltungen machen. Lassen Sie uns lieber durch Qualitätsveranstaltungen Akzente setzen, als sich damit zu brüsten: Das ist das größte, tollste und umfangreichste Programm.

Ausblick aufs Frühjahr

krimiblog.de: Bis zum nächsten Jahr ist es natürlich noch – gerade für Krimileser – ein bisschen lang. Wie versuchen Sie das zu überbrücken?

Dr. Rainer Moritz: Wir versuchen die Krimileser zu trösten (lacht). Wir haben hier im Literaturhaus, zumindest seit ich hier bin, immer wieder Krimilesungen gemacht. Ich erinnere mich an Liza Marklund, wir hatten vor zwei Jahren im Rahmen der Nordischen Literaturtage Anne Holt und Håkan Nesser hier gehabt, also auch bewusst einen kleinen Krimischwerpunkt gesetzt. Im kommenden Frühjahr werden Åke Edwardson und David Peace im Hause sein. Ich bin sicher, dass auch Herr Heymann in seiner Buchhandlung, wo ja auch regelmäßig Lesungen stattfinden, auch den ein oder anderen Krimiautor an Land ziehen wird. Wir hören natürlich auch jetzt schon, was im nächsten Jahr kommt. Ulrich Wickert war so freundlich zu erwähnen, dass im nächsten Herbst ein neues Buch von ihm kommt, Liza Marklund wird im Herbst einen neuen Annika-Bengtzon-Roman haben. Es kontoriert sich schon ein bisschen, aber wir werden den Krimi nicht nur auf das Krimifestival fokussieren, sondern wenn wir qualitätvolle Texte haben Autoren auch ganz normal ins Literaturhausprogramm aufzunehmen. Das ist mir sehr wichtig, denn der Krimi hat nichts davon, wenn er immer nur in der Krimschublade bleibt. Zum Beispiel gestern die Veranstaltung mit Jan Costin Wagner – das ist ein hervorragender Autor. Punkt. Das er Krimis schreibt ist schön, aber es wäre ganz fatal, Autoren dieser Qualität nur auf dieses Genre zurückzuführen. Wenn wir einen guten Roman haben, der zufällig ein Krimi ist, hat der im normalen Literaturhausprogramm genauso Platz wie im Rahmen des Krimifestivals.

krimiblog.de: Sind Sie selbst ein Krimileser?

Dr. Rainer Moritz: Ich bin nicht einer, der jeden Krimi liest. Ich muss nicht jeden lesen, vor allem nicht die blutrünstigen Thriller, wo mit Kettensägen gearbeitet wird. Das ist nicht unbedingt mein Ding. Aber ich habe sehr früh angefangen. Ich erinnere mich, wie ich sehr früh Dorothy Sayers, Agatha Christie und Georges Simenon gelesen habe, natürlich auch Friedrich Glauser, Wachmeister Studer. Ich habe kontinuierlich Krimis gelesen. Ich habe dann während meiner Zeit als Verleger bei Hoffmann und Campe auch Krimis verlegt. Doris Gercke ist und war Autorin bei Hoffmann und Campe, Liza Marklund hat ihre Bücher bisher bei Hoffmann und Campe veröffentlicht. Ich habe aus Berufsgründen Krimis gelesen, habe aber auch nebenher Lust gehabt, Neues im Krimi zu entdecken. Wolf Haas, das war mir damals ganz wichtig, ist damals zu meiner Zeit von Rowohlt nach Hoffmann und Campe gewechselt und da war ich sehr glücklich drüber. Ein außergewöhnlicher Autor, der ja im Moment erst einmal mit den Krimis aufgehört hat. Herr Brenner ist ja erledigt.

krimiblog.de: Ja, er schreibt jetzt übers Wetter…

Dr. Rainer Moritz: … was auch ein sehr skurriler Roman ist, „Das Wetter vor 15 Jahren“. Ist aber für das Krimifestival nicht geeignet (lacht). Aber solche besonderen Formen hatte man im Krimi in den letzten Jahren doch oft. Heinrich Steinfest ist auch ein Beispiel für einen „schrägen“ österreichischen Krimiautoren. Von daher habe ich das kontinuierlich verfolgt. Aber ich muss nicht jeden Krimi lesen. Wenn monatlich die KrimiWelt-Bestenliste veröffentlicht wird, stolpere ich über Namen, die ich noch nicht gehört habe – aber das macht auch den Reiz aus, dass dieses Genre neue Entdeckungen hat. Andrea Maria Schenkel ist ein Musterbeispiel dafür, wie plötzlich etwas ganz Neues entsteht und von Leserinnen und Lesern angenommen wird, wie man es nie vermutet hätte.

krimiblog.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Rainer Moritz: Es war mir eine Freude, vielen Dank!

Der Link:
→ literaturhaus-hamburg.de