Krimiblog-Archiv

2005 – 2010

Criminale in Farbe – Folge 1 – Ankunft im Sauerland

Kurze Reise durch Nord- und Westdeutschland. Ab Kassel im Regionalzug eine kreischende Damengruppe, Worte wie „Schützenfest“ oder „Brilon“ machen klar – die alte Heimat rückt näher. Dazu der sauerländische Tonfall, der sich der Schriftsprache verweigert – man stelle sich das alles falsch betont in die Länge gezogen vor. Klingt scheußlich, ist scheußlich. Dafür letzte Sonnenstrahlen über noch sehr braun-grünen Wiesen – hier nimmt sich die Natur immer gerne etwas mehr Zeit.

Morgen noch ein Familienfest und dann Vorbereitung auf die Criminale, die am Mittwoch hier los geht. In der Samstagsausgabe der Lokalzeitung eine Wochenendbeilage, die sich fast nur mit der Criminale beschäftigt. Nicht wirklich interessant, aber immerhin. Laptop scheint auch zu funktionieren, sonst könnte das hier niemand außer mir lesen.

Der Metaebenen-Schabernack

Da hat uns Lehrer dpr wohl reingelegt: Die erste Seite eines Romans entpuppt sich als Anfang eines interaktiven Krimis. Nun, ein lustiger Schabernack, ein Text-im-Text. Mal sehen, wie weit dpr diesen Spaß noch treibt- vielleicht der Text-im-Text-im-Text, mit mindestens drei unterschiedlichen Zeitebenen der Rückblende, von denen wiederum mindestens eine Ebene Rekursion auf die Gegenwart nimmt, deren Metaebene eng verschachtelt mit der Hauptfigur des Ralf Dörke ist, der ja eigentlich nur ein Homunculus ist, erschaffen von einem fiesen Autor. Neuenberg ist ein Alien, das sich abwechselnd in Neuenberg (the good guy) und Neuenfeld (the bad guy) verwandelt. Hier kommt natürlich das alte Jekyll-und-Hyde-Motiv zum Tragen. Dörke wird sich aber noch ganz schön wundern. Im Showdown wird aus Neuenfeld/Neuenberg ein gewisser Dieter B. aus T., ein Casting-Monster, der schamlos das Hirn des Ralf Dörke ausschlachtet, isst und mit den Rechten an dieser Story einen riesen Reibach einsackt. Open End muss sein, schließlich könnte man daraus auch eine schöne, erste Meta-Post-Pop-Soap-Opera stricken, die sich nicht nur gewaschen hat, sondern die in einer Endlosschleife durch die Weiten des Internet geistert, bis die Außerirdischen oder wahlweise Double-U den Stecker ziehen. Cut!

Hamburg, 19 Uhr

Welcher Idiot denkt sich bei den Hamburger Lesetagen eigentlich die Anfangsuhrzeiten für die Abendlesungen aus? Mach‘ Dir mal klar: In unserer geliebten Hansestadt gibt es viele fleißige Menschen, die um 19 Uhr noch arbeiten oder sich gerade abhetzen, um von der Arbeit nach Hause oder zu einer Lesung zu kommen. Die aber durchaus kulturell interessiert sind. Seid Ihr bescheuert? 19 Uhr in Worten: N-E-U-N-Z-E-H-N U-H-R – ich fasse es nicht! Wollt Ihr schön brav um 9 bei Mami im Bett liegen? Aber was will man von einem Beamten-Schnarch-Laden wie den HEW schon erwarten. Lasst das bitte in Zukunft andere organisieren – was für ein Schwachsinn… Zumal Hamburg – was Lesungen betrifft – sich nun gerade nicht mit Ruhm bekleckert. Fuck off!

Anstrengende Tage

liegen hinter mir, liegen vor mir. scheinen kein Ende zu nehmen. Wie lange kann man eigentlich ungestraft auf den Computer schauen und tippen? Bis die Augen tränen, oder die Finger nur noch die falschen Tasten finden. Kann man am Computer einschlafen? Will ich gar nicht testen. Trostpflaster könnte die nächste Woche werden.

In der Crime-School hinke schändlich hinterher, wo es gerade sehr, sehr spannend wird dort. Ich werde wohl nachsitzen müssen. Selbst der Stopfkuchen ist nur bis zur Hälfte gelesen – bei gerade mal 200 Seiten. Aber jetzt fallen mir die Augen zu. Schicht!

Kläglich gescheitert

Bernd hat es in seinem Beitrag „It’s the image, stupid“ bei Toms Krimitreff auf den Punkt gebracht.

Geschichtsstunde mit einer deutschen Autorin

Wer hätte es gedacht: Nach fast einenhalb Monaten Reaktionszeit findet sich ein entrüsteter Kommentar von Silvia Kaffke, Mitstreiterin am Romanprojekt Hotel Terminus, über das ich mehrfach berichtet habe, unter anderem am 10. März 2005. Bislang herrschte Schweigen, nur Marcus Starck, Autor im fernen Australien, der nicht an diesem umstrittenen Projekt beteiligt war, äußerte sich hier dazu.

Der Kommentar von Silvia Kaffke – ein wahrlich trauriges Beispiel von Geschichtswahrnehmung – kann man bei Toms Krimitreff nachlesen. Meine Erwiderung folgt hier – oder wahlweise dort.


Hallo Silvia,

immerhin, nach fast eineinhalb Monaten eine Reaktion von einer der beteiligten Autorinnen. Nun, wenn ich mich so gewaltig irre – warum wurde mein „Irrtum“ nicht schon früher aufgeklärt? Warum gab es keine Reaktion, weder vom Verlag noch von den beteiligten Autor/innen?

Da wählt Ihr bewusst einen Titel, der zweideutig ist. Einerseits der Begriff „Terminus“, der laut Silvia „wohl den wenigsten geläufig ist“, als Begriff für „Endbahnhof“, „Endgültigkeit“. Wenn die Leser doch so dumm sind, warum klärt Ihr sie darüber dann nicht auf?

Andererseits der Namen „Hotel Terminus“, der historisch belastet ist – ob einem das nun gefällt oder nicht. Natürlich, das Hotel im Roman von „12 preisgekrönten Krimi-Autoren“ hat nichts mit der Folterkammer des Klaus Barbie in Lyon zu tun. Die kennt nämlich heute kaum noch einer. Woran liegt das? Weil der Film von Marcel Ophüls nun auch schon seit ein paar Jahren im Archiv einstaubt? Weil wir Deutschen angeblich ständig mit unserem „Mea Culpa“ beschäftigt sind? Wohl kaum, dann würde dieser Hotelname vielleicht auch bis in die Chefetagen der deutschen und ausländischen Hotels vorgedrungen sein und dort würde man sich vielleicht überlegen, ob man ein Hotel – aufgrund der Begriffsdefinition und als historisch belasteter Name – wirklich so nennen würden. Aber es geht hier nicht um Kritik an Hotels – es geht mir, wer hätte es gedacht, um Kriminalliteratur.

„Wenn es Leute Leute gibt, die sich an Klaus Barbies Untaten erinnert fühlen – gut, das soll nicht vergessen werden. Aber wieder mit unserem typischen deutschen Mea Culpa, ein Buch, das so heißt, nichts mit Lyon zu tun hat und möglicherweise unterhält und deshalb gaaaanz gaaanz böse ist, nicht zu lesen, ist doch einfach hirnrissig.“ schreibt Silvia.

Eine, milde formuliert, eigenwillige und in meinen Augen flache historische Wahrnehmung. Mir kommen schon die ersten Sätze Eures Romans widerlich vor. Ein Bezug zum Schlachthof von Barbie wird zwar nicht hergestellt, dennoch wird dieser Name benutzt. Wozu? Nur weil „Endstation“ so passend sein soll? Dann kann man das Ding auch „Hotel Endstation“ nennen. Die Leser/innen, denen der Begriff „Terminus“ ja so wenig geläufig ist, würden dass dann auch vielleicht eher verstehen – und was Ihr damit gemeint habt.

Wie mögen aber die zitierten Anfangsworte Eurer platten Krimigeschichte in den Ohren der Opfer bzw. ihrer Nachfahren klingen? Wie mögen sich die Menschen gefühlt haben, die in dieser Endstation jeglicher Menschlichkeit zu Tode gekommen sind? Wie lustig mag das sein? Welche Gewichtung legt Ihr zwischen einem harmlosen Krimi, der in einer abgewrackten Kaschemme in irgendeiner deutschen Großstadt spielt, und den Qualen der Menschen, die Barbie zur Folter- und Schlachtbank führte? Und was, liebe Silvia, ist daran verkehrt, daran zu erinnern und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln?

Richard von Weizsäcker hat in seiner viel beachteten Rede am 8. Mai 1985 gesagt:
„Bei uns ist eine neue Generation in die politische Verantwortung hereingewachsen. Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“

Angesichts zunehmender, rechtsextremer Tendenzen, einer ständigen Verdrängung dessen, was während des Nationalsozialismus geschah, eines wachsenden Widerstandes gegen die Erinnerung, eine Forderung, die in meinen Augen notwendiger und aktueller denn je ist. Ich nehme sie ernst. Offenbar auch einige Deiner Kollegen, denn erst vor einigen Monaten hat Horst Eckert (er gehört auch zu den Autoren des „Hotel Terminus“-Romans) in seiner Rede „Krimis in Deutschland: Tendenzen“ Folgendes gesagt:

„Wo ich in Deutschland noch Nachholbedarf sehe, ist vor allem die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte, nämlich der Nazizeit und der DDR-Diktatur. Da liegt ein literarischer Quell besonderer Dramatik noch weitgehend brach – vielleicht, weil bislang der nötige Abstand und die Unbefangenheit fehlte, um aus solchen Stoffen Spannungsliteratur zu machen.“

Ich mag dem Mann gerne Recht geben, nur frage ich mich, wie weit diese Unbefangenheit gehen darf? Abgesehen davon, ob man eine solche Beschäftigung im Genre Krimi so fordern kann, aber das ist eine andere Frage. In meinen Augen darf die Unbefangenheit zumindest nicht soweit gehen, wie Ihr mit der Namenswahl für das Hotel in Eurem Roman gegangen seid, weil die Relationen – hier die Qualen der Barbie-Opfer, dort typisch klischeehafte Randexistenzen, die in jedem zweiten deutschen Krimi auftauchen – einfach nicht stimmen. Wie schon gesagt, niemand würde einen harmlosen Krimi in einem fiktiven Hotel Auschwitz spielen lassen – das ist schlicht geschmacklos.

Noch entsetzlicher wird dies alles, wenn man zum Beispiel den Anfang des letzten Kapitel von Jürgen Alberts liest, wo er sich in plumpen und beliebten Antiamerikanismus ergeht – vor dem Hintergrund der historischen Tatsachen (wer hat uns vom Nationalsozialismus befreit?, Na, wer wars? – Richtig: Die Amis, die Russen, die Franzosen und die Engländer) zusammen mit dieser geschmacklosen Namenswahl ist dies in meinen Augen einfach nur dumm und dämlich! Ich habe auch meine Probleme mit Herrn Bush und seiner Sicht der Welt, aber so einfach, wie es im Roman geschildert wird, ist es nicht. Dumpfbackiges „Gegen-Amerika“ mag sich in Zeiten wie diesen gut verkaufen.

Entlarvend geradezu Deine Bemerkung, dass „wir hoffen“ (jawohl, Eure Majestät) das Buch halte sich nun in der Diskussion – obwohl es gar nicht beabsichtigt war. Einerseits habt Ihr angeblich darüber diskutiert, andererseits nicht gehofft, es komme zu einer Diskussion außerhalb Eures erlauchten Autor/innenkreises dazu? Bitte, was hast Du – ‚tschuldigung Ihr – für ein Verständnis und für eine Wahrnehmnung von Euren Leser/innen? Ihr diskutiert darüber, hofft aber, dass dies die Leser nicht tun? Merkwürdig.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Thema „bashen“: In Zukunft würde ich es vorziehen, wenn Du von Kritik sprichst. „To bash“ kann zwar als heftige Kritik verstanden werden, aber das Wort hat – zweideutig, zweideutig – auch die Bedeutung, dass man jemanden schlägt oder verprügelt. Da Ihr ja offenbar Schwierigkeiten mit Zweideutigkeiten habt, möchte ich nur klarstellen: Als friedliebender Mensch schlage ich niemanden und ich schlage auch keine Bücher, noch halte ich jemanden davon ab, Euren Quatsch zu lesen. Ich sage lediglich, was ich darüber denke – weil ich Kriminalliteratur nicht als Einbahnstraße verstehe.

Liebe Grüße
Ludger

Gute Besserung

… dieser Wunsch geht ins ferne Australien. Damit fällt das geplante Bier und Gespräch auf der Criminale wohl leider aus.

From Russia with Love

Crime Time 43Russian Crime ist das Schwerpunktthema in der 43. Ausgabe der Crime Time. Ein hoch interessanter Artikel von George Tolstiakov, ein in Moskau lebender Journalist, der einst unter anderem für den verblichenen „Armchair Detective“ geschrieben hat, beschäftigt sich mit einer Reise ins reale und fiktive Russland-Noir. Trotz Zensur (übrigens auch ein Thema, das in dieser Ausgabe kurz behandelt wird) gibt Tolstiakov in Russland eine Buchreihe mit Noir-Titeln heraus, hauptsächlich wohl Übersetzungen aus dem Amerikanischen und Englischen (Romane von Barry Gifford, David Huggins, Edward Bunker und Jeremy Cameron sind bereits erschienen, Bücher von Ted Lewis, Charles Higson, James Ellroy, Dan Kavanagh, David Peace und Lawrence Block sollen folgen). Selbst in Putins Russland gibt es also eine gut gepflegte Noir-Reihe – nur hier bei uns… aber lassen wir das.

Jedenfalls ein guter Schwerpunkt, mit vier Artikeln vielleicht etwas dürftig. Neben dem Beitrag von George Tolstiakov finden sich noch Interviews mit Boris Akunin (den man in England offenbar erst jetzt entdeckt) und Andrej Kurkow. Sehr neugierig macht auch der vierte Artikel von Carla Banks, die in ihrem Beitrag „Minsk – interesting Times“ von einer Reise nach Weißrussland berichtet. Empfohlen wird damit auch ihr Roman „The Forest of Souls“.

Neben Russland nimmt Joe R. Lansdale einen weiteren – dunklen – Schwerpunkt ein. Ein Interview mit ihm und ein kurzes Porträt über ihn sind zu lesen. Weiterhin: Mike Ashley taucht in die Geschichte der Kriminalmagazine in England ein und klärt uns über das „London Mystery Magazine“ auf, zahlreiche, längere Reviews (zum Beispiel zu Laurie R. Kings „The Game“), Interviews (unter anderem mit Elizabeth George) sowie die Vorstellung einer neuen Reihe mit dem Titel „Crème de la Crime“, in der neue Krimitalente verlegt werden, runden die Ausgabe ab. Zum Schluß: The Verdict, Kurzbesprechungen von aktuellen Neuerscheinungen.

Verantwortung

„Sie bekommen mehr Verantwortung!“ sagt Chef. „Okay“ sage ich. Freude, obwohl deutlich mehr Arbeit. So sorry – got work to do…

Bin im Kino gewesen. Habe geweint.

Bei diesem Film.