Krimiblog-Archiv

2005 – 2010

Zeit

Stopfkuchen

„Er fragte wahrhaftig gar nichts danach, was »die Leute« (er meinte die Herren Lehrer) wußten und lächerlicherweise ihm mitzuteilen wünschten. Er war ganz gut so, wie er war, und – kurz und gut, es war eine Niederträchtigkeit, im Sommer um sieben und im Winter um acht »da sein« zu müssen, um sich doch nur mit völliger Verachtung strafen zu lassen; da »alles andere doch nichts half«.“
Wilhelm Raabe: Stopfkuchen

Glücklicherweise geht es in der beliebten Crime-School entspannter, wenn auch nicht weniger arbeitsintensiv zu. Nun steht also ein Repetitorium an. In der letzten Schulstunde behandelte Lehrer dpr das Thema Zeit, genauer gesagt die „Lese-Zeit-Richtung“ und suchte Beispiele für originelle Beispiele, wie in Kriminalromanen mit Zeit gearbeitet wird. Mir fiel dazu zwar kein Krimi ein, dafür erinnerte ich mich an einen Roman, der ähnlich wie ein Hüpfkastenspiel funktioniert. Die Rede ist von „Rayuela – Himmel und Hölle“ des Autors Julio Cortázar, Sohn argentinischer Eltern und in Brüssel geboren. In diesem Roman hat der Leser die Möglichkeit zur Interaktion – lange, bevor überhaupt jemand an Hypertext und Internet dachte. In kurzen Kapiteln erzählt Cortázar die Geschichte des Intellektuellen und Exilargentiniers Horacio Oliveira in seinem Pariser Exil und seine Rückkehr nach Buenos Aires. In „Das Buch der 1000 Bücher“ wird der 1963 erschienene Roman so beschrieben:

Rayuela„Der Titel Rayuela (spanisch für das Hüpfkastenspiel Himmel-und-Hölle) ist für den Roman in doppelter Hinsicht bedeutsam. Formal, weil er sich unmittelbar auf die Lektüre bezieht, die nicht linear fortschreitet, sondern vom Leser ein Vor- und Zurückspringen innerhalb der drei Teile verlangt. Der erste Teil schildert Oliveiras Leben in Paris, der zweite zeigt ihn nach der Rückkehr in seine Heimat; der dritte Teil enthält »entbehrliche« Kapitel, die beim Lesen der ersten beiden Teile zwischengeschaltet werden können.

Auf inhaltlicher Ebene kommt dem »Rayuela«-Spiel leitmotivische Funktion zu: Oliveira begegnet dem Kreidestrichgebilde mehrmals bei seinen ziellosen Gängen durch die Straßen von Paris und beginnt es als Symbol zu interpretieren: Himmel und Hölle der menschlichen Existenz sollen wie die Kästchen des Spiels auf einer Horizontalen liegen und so dem Individuum mühelos zugänglich werden. „


Ein chronologisches Lesen ist also nicht sinnvoll, sondern der Leser „hüpft“ im Roman hin und her und blättert dementsprechend auch immer wieder vor und zurück.

In der Tat entwickelt sich die Crime-School zu einem wirklichen Lesemarathon – immer wieder neue Ideen und Anregungen für Bücher, die ich noch nicht gelesen habe oder die dringend wiedergelesen werden sollten. Wenn da das Zeit-Problem nicht wäre….

Was wird er damit machenAnregungen kommen dabei auch indirekt. Lehrer dpr hat mich an Arno Schmidt erinnert und in diesem Zusammenhang fiel mir ein weiterer Roman ein, den ich gerne endlich lesen möchte. „Was wird er damit machen? Nachrichten aus dem Leben eines Lords“ von Edward Bulwer-Lytton in einer Übersetzung vom Meister aus Bargfeld. Bulwer-Lytton ist bei uns vor allem durch seinen Roman „Die letzten Tage von Pompeji“ bekannt geworden – dabei dürfte die Entdeckung von „What will he do with it?“ – gerade auch unter Krimiaspekten – wesentlich spannender sein. Glücklicherweise ist die schöne, dreibändige Taschenbuchausgabe in einer Kassette wohl auch noch lieferbar – keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen. Wer das Buch nicht kaufen möchte, kann auch die englische Ausgabe aus dem Internet herunterladen und lesen. Ganz davon abgesehen, das mir in Bezug auf Arno Schmidt auch wieder Wilkie Collins einfällt und mich an eine dringende, wiederholte Lektüre von „Die Frau in Weiß“ mahnt, natürlich nur in der Übersetzung von Arno Schmidt.

Ein Skandal, der keiner ist

617 Grad CelsiusHat der deutsche Krimi endlich eine Affäre? Wird er die Schlagzeilen auf den ersten Seiten beherrschen oder gar Einfluss auf den Wahlausgang im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW am 22. Mai 2005 nehmen? Sorgt sich Peer Steinbrück deswegen um seinen Job und nicht, weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist, die Genossen an Rhein und Ruhr gegen die „Reformer“ und als Genossen verkleidete Neoliberale aus Berlin kämpfen und die SPD sowieso im Umfragetief steckt? Lacht sich CDU-Spitzenmann Jürgen Rüttgers schon heimlich eins ins Fäustchen, weil der Düsseldorfer Krimiautor Horst Eckert die dunklen Machenschaften seines Kontrahenten – rein fiktiv versteht sich – aufgedeckt hat? Wenn man den Artikel „Auflage durch Aufregung“ vom 6. April 2005 in der NRZ liest, könnte der Verdacht entstehen. Keine Frage: Die Nerven im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf liegen blank. Für die SPD geht es um’s nackte Überleben, noch eine Niederlage bei einer Landtagswahl, zumal in der ehemaligen Hochburg der Genossen, könnte Kanzler Schröder den Kopf kosten, zumindest dürfte er dann heftig wackeln. Gleichzeitig wittern Rüttgers und seine christdemokratischen Mitstreiter in der bundesdeutschen Hauptstadt Morgenluft: Naht das Ende von Rot-Grün schon nach dem 22. Mai 2005 – und zwar nicht nur in Düsseldorf?

Der mutmaßliche Skandal dabei: Der neue Kriminalroman von Horst Eckert, der Anfang April (also gut sieben Wochen vor dem Wahltermin in NRW) unter dem Titel „617 Grad Celsius“ im Grafit-Verlag erschienen ist. Eckert erzählt darin die Geschichte der Kripobeamtin Anna Winkler, die sich mit der Aufklärung einer Gasexplosion in der Düsseldorfer Innenstadt beschäftigen muss, bei der mehrere Menschen ums Leben kamen. Die Ermittlungen führen sie zu einem älteren Fall und zu ihrem Onkel Uwe Strom, der als Ministerpräsident des Landes NRW wiedergewählt werden möchte. Immerhin: Ulrich Noller urteilte in seiner Besprechung bei der Deutschen Welle:

„Angesichts der anstehenden Landtagswahl ist „617 Grad Celsius“ höchst brisanter Kriminalroman. Und einer, der einen ungewohnten Horst Eckert zeigt: Einen gesellschaftskritischen Autor, der sich zum Fundamentalkritiker der politischen Klasse entwickelt.“
Ulrich Noller in seinem Buchtipp zu „617 Grad Celsius“

Erinnerungen an den Fall Siewert?

Doch soviel Nähe zur Realität scheinen Autor und Verleger nicht willkommen zu sein. Grafit-Chef Rutger Booß bestreitet laut NRZ „eine absichtsvolle Verquickung von Realität und Roman, erst recht eine kalkulierte Provokation.“ Weiter heißt es im Artikel:

“ Niemand sei erkennbar, geschweige denn in der Absicht beschrieben worden, ihn zu beleidigen. Aber: „Ich hätte dieses Buch so nicht geschrieben“, auch das sagt Booß. Und auf die Frage, ob es nicht geschmacklos sei, ohne Not auf Versatzstücke aus dem Leben einer bekannten Person zurückzugreifen, gibt der Verleger seinem Autor nur bedingt Rückendeckung. Über Geschmacksfragen ließe sich bekanntlich streiten. „

Wilsberg und der tote ProfessorAutor Horst Eckert bezeichnet die Vorwürfe auf seiner Internetseite als „Lächerlich.“ Doch auch das Fachmagazin „Buchmark“ sieht eine Affäre im Anmarsch, wie in diesem Artikel nachgelesen werden kann. Dummer Zufall, dass der Roman sieben Wochen vor der Landtagswahl erschienen ist? Laut Grafit-Verleger Booß eher ein Hindernis, aus Gründen des Marketings: „Schon einen Tag nach der Wahl ist das Thema doch total veraltet. Werblich kann man damit dann nichts mehr anfangen.“ erklärt Rutger Booß lapidar im Gespräch mit der NRZ.

Schon merkwürdig, wie wenig der Verleger hinter seinem Autor steht – wenn man denn dem NRZ-Artikel Glauben schenken darf. Dabei hat der Grafit-Chef Erfahrung mit Klagen wegen angeblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Schon 2003 handelte sich der Krimi „Wilsberg und der tote Professor“ von Jürgen Kehrer (ebenfalls bei Grafit erschienen) eine Klage ein, weil sich angeblich Dr. Klaus Siewert, Privatdozent an der Universität Münster, in dem Krimibösewicht Kaiser wieder erkannt haben will. Damals wurde die Klage abgewiesen und der urteilende Richter gab dem unterlegenen Kläger weise Worte mit auf den Weg: “ Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.“

Auch die Spitzenpoltiker in NRW – egal ob nun SPD oder CDU – werden wohl schweigen, zumal sie während des Wahlkampfs keine Zeit zum Krimilesen finden dürften. Bleibt ein fader Nachgeschmack von einem Skandal, der keiner ist.

P.S.: Wenn der Link zum Artikel in der NRZ nicht mehr funktioniert, bitte die Archiv-Suche nutzen

Alan & Arno

Der JudaslohnAndree Hesse: Der Judaslohn

Wenn rechte Dumpfbacken eins auf die Mütze kriegen – selbst wenn es „nur“ im Kriminalroman geschieht – dann ist das ein Anlass zur Freude. Wahrscheinlich passiert es in der Fiktion eh’ öfter als im wirklichen Leben. In Andree Hesses Krimi „Der Judaslohn“ gibt es eine solche Szene. Durch die Ermittlungen in zwei Mordfällen kommt die Polizei einer braunen Truppe auf die Spur, die, als Heimatverein getarnt, in Celle und Umgebung ihr Unwesen treibt und die – auch die Rechtsextremen beherrschen das Einmaleins der Globalisierung – Kontakte bis nach England und Polen unterhält. Kopf dieser braunen Bagage ist Eckhardt Köhler, Wirt der Dorfkneipe im kleinen Eichendorf. Nach der Razzia in seiner Kneipe wird Köhler für einige Jahre in den Knast wandern – doch der gesuchte Mörder ist er nicht.

Dessen Spuren führen Kommissar Arno Hennings noch tiefer in den braunen Sumpf und in die düstere, deutsche Geschichte. Als die Nazis 1936 in der Heide viele alt eingesessene Bauern durch Enteignung von ihren Höfen vertreiben wollen, spielen diese nicht mit. Wehrhaft schwören sie den braunen Machthabern Rache und fällen in einer Nacht- und Nebelaktion die örtliche Hitlereiche. Der Verrat am Führer hat für einen der Beteiligten, den Knecht Ludger Owerhaide, furchtbare Folgen. Er wird von jemanden verraten und ins KZ geworfen, wo er unter erbärmlichen Umständen stirbt. Ein Verrat, der siebzig Jahre später zwei weitere Opfer fordert: Einen englischen Soldaten, der während einer Übung auf dem nahegelegenen Truppenübungsplatz, erschlagen wird und Knut Harms, schmieriger und erfolgloser Autohändler und wie sein Freund Köhler Mitglied des rechten Heimatvereins. Harms Leiche wird auf einem der enteigneten Höfe entdeckt. Sein Mörder hat ihn gefesselt und verdursten lassen. Kommissar Hennings und seine britische Kollegin Emma Fuller, die aufgrund des toten Soldaten an den Ermittlungen beteiligt ist, stehen vor einem Rätsel.

Arno Hennings ist mit der Gegend vertraut, schließlich ist er selbst in Eichendorf aufgewachsen und nun, nach Jahren bei der Berliner Polizei, in seine alte Heimat zurückgekehrt. Hennings, der seinen Vorname dem in Celle verstorbenen Autor Arno Schmidt verdankt, plagen – wie kann es im heutigen Kriminalroman auch anders sein – private Sorgen. Seine Freundin verunglückt während seiner Abwesenheit in Berlin, er soll das Haus seiner verstorbenen Eltern verkaufen und mit seinen neuen Kollegen bei der Celler Polizei kommt er auch nicht so recht klar.

So bitte nicht!

Interessant jedoch wird die ansonsten eher blasse Figur, wenn man einmal auf seinen Erfinder Andree Hesse schaut. Der hat als Übersetzter gearbeitet und unter anderem Romane von Peter Robinson ins Deutsche übertragen. Ein Blinder, wem da nicht die Ähnlichkeiten zwischen Hesses Arno Hennings und Robinsons Alan Banks ins Auge fallen: Beide kehren der Großstadt desillusioniert den Rücken und flüchten ins – nicht wirklich idyllische – Landleben, beide lieben Musik und hören diese bevorzugt während Autofahrten. Beide Kommissare haben eine Kollegin an ihrer Seite, zu der sie eine schwierige Beziehung unterhalten. Bei beiden Kommissaren spielt die ländliche, rauhe Landschaft eine wichtige Rolle. Natürlich gibt es auch Unterschiede, aber gerade diese sehr beherrschenden Merkmale hinterlassen bei mir ein ungutes Gefühl: Möchte Andree Hesse als deutscher Peter Robinson entdeckt werden? Dazu sind die auffälligen Ähnlichkeiten allerdings zu platt. Nein, so bitte nicht, lieber Herr Hesse!

Sieht man einmal davon ab, hat Hesse einen brav erzählten, politisch voll korrekten und ziemlich humorfreien Kriminalroman geschrieben, der sich nicht von den gängigen Regionalkrimis abhebt. Ein paar lebendige Landschaftsbeschreibungen hier, ein paar flache Figuren mit den üblichen Problemen dort und eine vorhersehbare Geschichte. Nur das mit dem Denkzettel für die rechten Dumpfbacken, das hat mir gefallen.

Andree Hesse: Der Judaslohn : Roman. – Reinbek bei Hamburg : Wunderlich, 2005
ISBN 3-8052-0800-6
Buch bestellen bei:
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Weicheier

Also, leset und staunet oder lasst es bleiben, aber hört vor allem mal auf mit diesem Weichei-Getue. Die heile Welt existiert schon lange nicht mehr. Wenn Ihr die in diesem Forum genannten Autoren/Romane nicht ertragen könnt, dann dürft Ihr nämlich auch keine Zeitungen mehr lesen und keine Nachrichten-sendungen mehr schauen. Denn dort erfahrt Ihr Realitäten, die schlimmer sind als die Fantasie jedes noch so hartgesottenen Autors.
René im Forum von Krimi-Couch/Schwedenkrimi zum Thema „Brutal, brutaler, am brutalsten“.

Noch Fragen?

Spielerei

Gumshoe Online In der aktuellen Lektion der Crime-School geht es um interaktive Krimis im Netz. Ich gestehe, dass mich diese Lektion zum Schwänzen einlädt – was nicht an der Aufbereitung liegt, sondern am Thema. Interaktive Krimispiele haben mich – warum auch immer – noch nie in den Bann gezogen. Auch die käuflich zu erwerbenden Computerspiele, wie zum Beispiel „Adventures of Sherlock Holmes – The Silver Earring“ , sind nix für mich. Manche sind sicher hübsch gestaltet, manche weniger, aber gereizt haben sie mich noch nie. Ein wenig hin- und hergeklickt, und dann: Danke, ich gehe lieber richtige Bücher lesen.

Zufall oder nicht, gerade habe ich wieder eine solche interaktive Krimiseite entdeckt: Gumshoe Online bietet seinen Besuchern eine aufwändig gestaltete Online-Plattform, mit mehreren Fällen, die durchgespielt werden können. Allerdings: Dafür muss man zahlen, zur Übung gibt es nur ein „Tutorial Case“, der den Spieler durch Wheaton City führt. Alle anderen Fälle kosten Geld. Also, liebe Spielkinder – wenn Ihr das mögt und noch ein paar Dollar übrig habt, schaut dort gerne vorbei. Ich hingegen werde mich lieber auf die „Gumshoe Site“ begeben (die offenbar nix mit dem Online-Spiel zu tun hat) und dort neueste Nachrichten aus der Krimiwelt lesen. Dann ab ins Wochenende, wo endlich der „Stopfkuchen“ auf mich wartet.

Saul Bellow gestorben

Der amerikanische Autor Saul Bellow, der 1976 für seinen Roman „Humboldts Vermächtnis“ den Nobelpreis erhielt, ist im Alter von 89 Jahren gestorben.

Crime-School Hinweis

Um Verwirrung zu vermeiden: Ich habe mal die Beiträge zur Crime-School des Hinternets in eine eigene Kategorie gepackt. Nur zur Klarstellung: Hier gibt es nur Schülerkommentare und Spickzettel, die echte Crime-School findet in den Klassenräumen des Hinternets statt.

Schülerfragen

In der achten Lektion der wunderbaren Crime-School geht es erneut um die Beck-Romane von Sjöwall / Walhöö. Lehrer dpr stellt fest:

„Das Konzept der Sjöwall / Walhöö – Romane ist zunächst unabhängig vom „Genre“ Krimi zu sehen. Bei der Frage der Umsetzung allerdings (und nur darum kann es in einer Kritik gehen; „Ideen“ oder „Botschaften“ sind erst einmal nichts weiter als Treibstoff für die Literaturproduktion. Allein betrachtet sind sie nichts wert. Jeder Idiot kann „tolle Ideen“ haben.) zeigt sich, wie unverzichtbar die Genrewahl ist. Sie schafft Schnittstellen zum Leser (und sei es nur, um diesen bei der Stange zu halten, weil es „so spannend!“ ist) und formt die Spannungsbögen.“

Mich erinnert dies an manche Argumente in Kritiken zu Kriminalromanen, in denen es heißt, ein guter Kriminalroman funktioniere auch nur als Kriminalroman – die Wahl des Genre ist also unabdingbar. Geschichten, Ideen, Botschaften, die sich eben nur als Krimi „verkaufen“ lassen.

Immer wieder betont dpr auch, dass ein Text mit dem Leser kommuniziert. Nur: Wollen Leser das wirklich? Ohne eine Bewertung vornehmen zu wollen: Sind Krimileser wirklich an Kommunikation, an Ideen, an Botschaften interessiert? Lieben sie nicht mehr den kurzen Kick, die Spannung, die Entspannung, das Abschweifen in andere, fremde, exotische Welten? Warum wird der Soziokrimi oftmals mit spitzen Fingern gelesen? Andererseits: Wie passt da ein Phänomen wie Hennig Mankell rein, der ja durchaus (grauenvoll schlecht verpackt) Botschaften über den Zustand der schwedischen Gesellschaft rüberbringen möchte und damit bislang Erfolg hatte. Stößt Kriminalliteratur hier nicht an ihre Grenzen – denn was kann ein Text (ob er nun gut oder schlecht ist) wirklich an Botschaften transportieren oder gar „bewegen“?

Ein Punkt, der für den Kriminalroman spricht, ist in meinen Augen der immer wieder formulierte Denkansatz, Kriminalliteratur blühe nur in Demokratien, in offenen Gesellschaften. Kriminalliteratur also im doppelten Sinne als Funktionsliteratur: Spannung für den Leser auf der einen Seite, damit er an der Geschichte, an den Botschaften dran bleibt, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen oder geschichtlichen Ereignissen auf der anderen Seite. Gerade hier muss sich der kriminallistische Text beweisen: offene oder geschickt versteckte Gesellschaftkritik (zwischen den Zeilen), die einen Kriminalroman brisant werden lässt. Möglich erscheint dies eben nur in offenen Gesellschaften.

Liegt hier die Zukunft des geliebten Genres? Verleiht ihm dies Gewicht? Weg von schnöden Morden nur um des Morden willens, als reiner Nervenkitzel, hin zu einer Ästhetik des Aufbegehrens, des Widerstands, des Untergründigen, des Nonkonformen? Abschiednehmen von den starren Formen, Vorgaben und Regeln (Mord – Aufklärung – Täter) hin zu Experimenten? Irgendwann habe ich mal geschrieben, dass sich viele Autoren im Gewitter der postmodernen Beliebigkeit und des „Alles-ist-möglich“ Halt in eben diesen festen Formen der Kriminalliteratur erhoffen. Ein Trugschluss?

Gleichzeitig führt aber die Überfrachtung mit „Botschaft“ zur Langeweile. Wo bleiben da die Massen von Lesern, die nach ihrem Tagwerk einfach nur abschalten möchten? Muss man nicht die Ansprüche herunterschrauben, liegt es an einer guten (wie auch immer gearteten) Mischung zwischen Botschaft/Idee und Spannung? Auch wird der 130. Krimi zum Thema Kindesmissbrauch niemanden den Atem rauben – weil diese Themen oftmals ausgelatscht und ausgelaugt sind – es sei denn, der Leser empfindet bei der Lektüre Spannung.

Dazu kommt ein deutlich verändertes Medienverhalten als noch vor 20 oder 30 Jahren, als Sjöwall / Walhöö ihren Martin Beck auf Verbrecherjad schickten. Alle Welt stöhnt über Reizüberflutung, TV, Radio, Internet und dann auch noch Bücher – wie soll man das alles schaffen? Spricht dies etwa für die Brutalisierung der immer noch beliebten Serienmörder (je grausamer, desto besser). Kriegt man die Leser nur zu fassen, wenn man sich die abstrusesten und widerlichsten Taten ausdenkt und diese detailliert beschreibt? Oder setzt doch auch eine Rückbesinnung ein: auf psychologische Elemente des Kriminallromans, den Sinnfragen, die uns ja doch alle irgendwie bewegen und eben auch auf politische Gegebenheiten. Kriminalliteratur als Hilfe in Lebensfragen, als Orientierungshilfe? Kriminalliteratur als Versuchsanordnung (wie es Anne Chaplet nennt) zwischenmenschlicher Beziehungen und Konflikte? Kommen also vielleicht die Esoterik-Krimis?

Ernsthafte Fragen oder doch nur Phrasen? Zweifel.

Ich will doch nur spielen…

In der Crime-School ist gerade Pause und damit wir Schüler nicht rauchend auf dem Schulhof rumhängen, hat Lehrer dpr ein nettes Spielchen für uns Schüler gebastelt.
Unterdessen macht man sich anderswo ebenfalls Gedanken um die beliebten Bücher zu Mord und Totschlag. Gefunden via Gästebuch der Krimi-Couch, gibt es zwei Artikel zum Thema: „Mimis Bettgenossen – Teil 1“ (klingt nach Schmuddel, ist es aber nicht!) und die Frage „Wer hat Angst vor dem nächsten Krimi?“

Die Alligatorpapiere haben sich (schon wieder????) in einen kurzen Betriebsurlaub verabschiedet. Nun, es sei ihnen von Herzen gegönnt, aber eigentlich geht das ja gar nicht, weil dann news-technisch gar nix geht… Wir darben!

Bucheinkauf: Gleich zwei Päckchen angekommen, nur mein „Stopfkuchen“ kommt (obwohl vor einer Woche bestellt) nicht an Land. Bei einem dünnen Reclam-Heftchen legt man sich halt nicht so ins Zeug…

Lektüre: Schleppt sich hin, Andree Hesses „Judaslohn“ haut mich nicht wirklich aus den Socken. Der gute Mensch hat ja unter anderem Peter Robinson übersetzt (Lob dafür!) und einige Dinge in seinem Krimi erinnern doch sehr stark an Robinson (Tadel dafür!). Mehr dazu in den nächsten Tagen.

1. April

Der Frühling ist ausgebrochen, also hat sich das Nachtbuch aufgefrischt, sich WordPress 1.5 gegönnt und gleich dazu ein neues Kleid. Auf Aprilscherze verzichte ich und dpr vom Hinternet kann ich beruhigen: Natürlich werde ich keine eigene Crime-School aufmachen, schließlich bin ich ganz scharf auf den Abschluss in der Crime School. Als emanzipierte Krimi- und Kulturhusche muss man heutzutage ja sehen, wo man bleibt und dann hat man was Eigenes, wo es schon mit dem Jodel-Diplom (mangels Stimmkraft) nicht geklappt hat.