Krimiblog-Archiv

2005 – 2010

Real Crime II

Das Institut für Kriminologische Sozialforschung Hamburg (IKS) betreibt (wohl schon seit einiger Zeit) eine eigene Krimpedia, also eine freie Enzyklopädie zur Kriminologie im Internet. Noch fehlen zwar viele Begriffe, aber was zum Beispiel eine Bagatelldelinquenz ist wird schon erklärt.

Marcus Starcks Lieblingsbeschäftigung

„Nichts vs. Nothing“ oder „Marcus Starck vs. Ludger Menke“ – daran hat er wohl viel Spaß. Sei ihm gegönnt. Ich bin natürlich der Verlierer, klar. Wie leicht doch die Menschen glücklich gemacht werden können. Wann schreibt Marcus Starck eigentlich seine Bücher? Will er mich zum Duell auf der Criminale im Sauerland herausfordern? Nö, da hab‘ ich keine Lust drauf.

Launen der Bücher

Ferne PalästeAbilio Estévez: Ferne Paläste

„Dann sind die Bücher an der Reihe. Es sind nicht viele, zum Glück. Ein leiser Anfall von Sentimentalität hindert ihn daran, einen letzten Blick auf sie zu werfen, auch wenn es keine Rolle spielt, ob er sie anschaut, denn Victorio kennt sie nur zu gut, er muß sie bloß anfassen und weiß, um welches Buch es sich handelt, um welchen Autor, welche Zeit, welche Gegend der Welt, denn die Bücher sind wie die Menschen, sie haben ihren eigenen Charakter, ihre Würde, ihre Eleganz, ihre Torheiten, ihre Launen. Jedes Buch hat einen Körper und eine Seele. Manchmal, in endlos vielen Fällen, besitzen sie sogar mehr Seele als die Autoren selbst, die sie ins Leben gerufen haben.“


Abilio Estévez: Ferne Paläste, S. 36

Was Victorio dort macht? Er verbrennt, zusammen mit anderen Habseligkeiten, seine Bücher. Dann verlässt er sein Haus, das früher vielleicht einmal ein Palast war, in dem er sein Zimmer hatte, weil das Haus bald abgerissen werden soll. Trümmer, überall Trümmer. Victorio flieht hinaus, ziellos in das pulsiernde Havanna, der Stadt der Einstürze. Bildreich, poetisch, melancholisch, fesselnd.

Neue Krimireihe

Blut für Eisen„Die dunklen Seiten bei nymphenburger“ nennt sich eine neue Krimireihe, die in eben jenem Verlag Nymphenburger, der zur Verlagsgruppe Langen Müller Herbig gehört, gerade erschienen ist. Als Herausgeber der Reihe zeichnet Thomas Kraft verantwortlich, der unter anderem als freier Literaturkritiker für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen und von 1996 bis 1999 als Programmleiter des Literaturhauses München arbeitete. Nun ist es eher selten, dass man eine neue Krimireihe begrüßen darf, zudem eine Reihe, die nur deutschsprachige Autoren und Autorinnen verlegen will. Thomas Kraft schreibt dazu auf seiner Homepage:

„Eine neue Reihe mit Kriminal- und Spannungsromanen ins Leben zu rufen, mag nur auf den ersten Blick als Wagnis erscheinen. Denn schon vor vierzig Jahren hat Helmut Heißenbüttel dieses Genre als »eine der offensten Formen der heutigen Literatur« bezeichnet. »Die dunklen Seiten« von Nymphenburger reflektieren so auch das breite Spektrum dieser Gattung und spielen mit erprobten und neuen Varianten, dem Abgründigen und Bösen auf die Spur zu kommen. Unsere Idee, Autoren, die in ihrer literarischen Arbeit mit dem Kriminalroman bislang kaum oder noch gar nicht in Berührung gekommen waren, für diese Reihe zu gewinnen, speist sich aus dem Wunsch, unerhörte Spannung mit hohem ästhetischem Anspruch auf außergewöhnliche Weise zu verbinden.“
Thomas Kraft

Die ersten drei Romane versprechen Interessantes. Da ist zunächst Uwe Friesel, der zumindest einigen Krimilesern bekannt sein dürfte. Sein Roman heißt „Blut für Eisen“, laut Verlagstext „ein hochbrisanter Fall mit politischem Hintergrund“. Es ist zugleich ein neuer Fall für seinen Privatermittler und Ex-Kommissar Guido Blankenhorn. Es geht, laut Klappentext, um „einen mörderischen Kreislauf, in dem Klaviermusik, verschwundene Luxuskarossen und straff organisierter Mädchenhandel eine wichtige Rolle spielen“.

Teufelsbrut
Weniger bekannt dürfte die Autorin Bettina Gundermann sein, die mit ihrem Debüt „lines“ bei Kritikern eher ein verhaltenes Echo auslöste. Ihr zweiter Roman „Lysander“ ist erst gerade in diesem Monat bei Schöffling & Co erschienen. Nun also ihr dritter Roman „Teufelsbrut“, laut Verlag „ein Psychothriller in der Tradition der » série noire«, eine unter die Haut gehende Geschichte um Verrat und Liebe, die mitten unter uns spielen könnte“. Weiter heißt es:

„Als Sara aus der Stadt in eine dörfliche Umgebung flieht, um wieder zu sich zu finden, lernt sie den geheimnisvollen Zadok kennen. Während Zadok sie umschmeichelt und allmählich in seinen Bann zu ziehen versteht, erzählt er ihr die Geschichte von Luca und ihrem Bruder Raphael, die er einst bei sich aufgenommen hatte. Luca erscheint in seinen Erzählungen als engelsgleiches Wesen, das keinem Menschen gleichgültig sein konnte. Zadok hatte sich in die junge Frau verliebt, doch nun ist sie verschwunden. Sara, die ihr äußerlich ähnlich zu sein scheint, gerät unter dem immer stärker werdenden Einfluss Zadoks in ein Verwirrspiel aus Leidenschaft, Suggestion und dunklen Ahnungen, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

Die mysteriösen Andeutungen, die Zadok über Luca und ihren Bruder macht, verdichten sich für Sara allmählich zu der bitteren Einsicht, dass Zadok sie in seinen Abgrund zu ziehen versucht. Während es hinter der kalten und abweisenden Fassade der Dorfgemeinschaft gefährlich zu brodeln beginnt, kommt Sara einem grausamen Geheimnis auf die Spur, das ein lange zurückliegendes Verbrechen, mehrere Tagebücher, drei Krähen undeine hetzende Meute verbirgt.“

Freulers RückkehrDritter im Bunde ist der gebürtige Schweizer Perikles Monioudis, der bereits mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht hat. Bei Nymphenburger legt er nun seinen Krimi „Freulers Rückkehr“ vor, der ein „abgründig-ironisches Kammerspiel à la Dürrenmatt“ sei und auf „faszinierende Weise die dunklen Seiten der Seele“ beschreibe. Die Geschichte:

„Der Industrielle Heinrich Moser wird tot in seiner Villa aufgefunden. Die Schmauchspuren an seiner Hand lassen vermuten, dass er sich mit seiner Armeepistole erschossen hat. Doch Untersuchungsrichter Hanspeter Freuler, der nach Jahrzehnten im Ausland in seine alte Heimat, den Bergkanton Glarus, zurückgekehrt ist, zweifelt an einem Selbstmord. Auf der Suche nach einem Motiv für die Tat begegnet er Mosers spielsüchtigem Sohn und der ehrgeizigen Tochter, Chefin des väterlichen Firmenimperiums. Dabei entdeckt Freuler Ähnlichkeiten zwischen seiner eigenen Lebensgeschichte und der von Moser, der auch erst vor kurzem in die bergige Gegend gezogen war. Freuler begibt sich auf eine Fährte, die ihn in den Abgrund zu ziehen droht . Ein angeblich verschwundenes Notizbuch aus dem Besitz des Toten regt die Fantasie aller Personen an, die als Täter in Frage kommen. Rätselhafte Unfälle und Einbrüche wechseln einander ab. Während die Bevölkerung über den sonderbaren Fall spekuliert, sucht Freuler in der abgelegenen Villa des Toten nach weiteren Verdachtsmomenten, ohne zu merken, wie sehr er sich die Geschichte des Opfers bereits zu Eigen gemacht hat.“

Alle drei Bücher sind als Hardcover in schönen Ausgaben erschienen und kosten jeweils 18,90 Euro. Damit wird es wirklich spannenend: Krimis als Hardcover und als neue Reihe haben es besonders schwer. Auch die Ankündigung „Spannung mit hohem ästhetischen Anspruch auf außergewöhnliche Weise zu verbinden“ könnte eher hinderlich für einen Erfolg bei den Lesern sein. Dennoch: Der Reihe, ihrem Herausgeber und den Autoren und Autorinnen viel Glück und Standhaftigkeit. Ich werde berichten.

Schöner Sterben

Tiefer SchmerzArne Dahl: Tiefer Schmerz

In seiner Besprechung „Ein Vielfraß lehrt die Kunst des Sterbens“ stellt Thomas Steinfeld fest:

„Der Kriminalroman setzt, besonders wenn er so gewalttätig daherkommt wie derzeit der schwedische, eine rundum sozialversicherte Leserschaft voraus, die solch blutige Darbietungen als fremden Reiz goutieren kann – und als Abwehrzauber gegenüber dem, was einem immer noch funktionierenden Sozialstaat in naher oder ferner Zukunft soll drohen können. Es ist kein Zufall, dass diese Art von Kriminalroman vor allem in sozialstaatlich verfassten Nationen Europas zum Erfolg wird und schon Großbritannien kaum noch erreicht. (…) In der Eskalation der Gewalt im Kriminalroman steckt daher ein barockes Motiv, die meditatio mortis, das Einüben des Sterbens auf der Grundlage der Fiktion. (…) Zugleich aber lässt die imaginäre Hinwendung an exzessive Gewalt ein erzählerisches Problem entstehen: Denn je wilder die Tat, desto wüster hat man sich den Charakter des Täters vorzustellen, und irgendwann muss diese logische Konsequenz auf Kosten des Realismus gehen – …“

Thomas Steinfeld: „Ein Vielfraß lehrt die Kunst des Sterbens : Der Schrecken und sein Sozialstaat: Arne Dahls „Tiefer Schmerz“ und der deutsche Erfolg des schwedischen Kriminalromans“. In : Süddeutsche Zeitung, Nr. 39, 17.02.2005, S. 16

Die Überzeichnung der Übeltäter, die immer bizarreren Mordmethoden der Täter – das gibt es nicht erst seit Mankell und Dahl. Die Kunstfigur des Killers in Krimis hatte eigentlich schon immer – bis auf wenige Noir-Romane – nur wenig mit der Realität zu tun. Interessanter vielleicht der Hinweis auf die „Einübung des Sterbens“. Der Tod – als eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft – wird in der Vorstellung gedacht und erlebt. Schöner Sterben mit Krimis?

Nichts Neues

… gibt es hingegen im Artikel von Helmut Martin-Jung über Blogs zu entdecken, der heute in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Blogger sind einsam, süchtig und egomanisch. Sie leiden unter Schlafmangel und die ganz Pfiffigen unter uns können sogar große Firmen ins Straucheln bringen.

Damit Ihr Euch keine Sorgen macht: Ich bin weder einsam, süchtig nur nach Büchern und Zigaretten, und meine Egomanie hält sich in Grenzen. Nur das mit dem Schlafmangel, das kommt hin.

Aus Alt mach Neu oder umgekehrt

Der neue Chef geht, der alte kommt wieder. Es bleibt spannend.

Schillerjahr

All, überall, ist das Schillerjahr da. Kein Entkommen. Auch Kamelopedia hat dem Dichter und Denker nun einen Artikel gewidmet.

Schmerz der Erkenntnis

Während anderswo über kriminelle Trends spekuliert wird, sagt Marcus, wie es ist: „Ich schreibe, weil ich schreiben muss. „ Das ehrt ihn. Ich glaube ihm das auch. Es gibt sicher viele Autoren und Autorinnen die ihre Arbeit so oder ähnlich sehen. Es gibt aber leider auch die andere Seite: Verlage, die Krimis gegen Geld unter das lesende Volk bringen müssen. Marketing nennt man das wohl. Sind also nur die Verlage daran schuld, dass eine Krimiwelle nach der anderen kommt? Nach den Skandinaviern nun die Russen oder die Asiaten? Historischer Krimi statt Regionalkrimi? Sind es die Autoren, die ihre Feder nach dem Winde ausrichten? Oder sind es die Leser, die einen Trend setzten, weil sie massenhaft Dan-Brown-Schwarten und deren Plagiate und Kopien nach Hause aufs Sofa schleppen und die guten Autoren links liegen lassen? Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen.

Das zum Beispiel Hardboiled-Krimis oder Noir nur wenige Anhänger unter den deutschen Lesern finden, liegt an der Vorstellung, die wohl die meisten Krimileser immer noch von ihrer Spannungsliteratur haben. Eben, es soll spannend sein. Ein berechtigter Wunsch, nachvollziehbar – gleichzeitig aber auch einengend und starr. Kriminalliteratur ist Eskapismus, Flucht, ein Märchen für Erwachsene, weil das Gute am Ende siegt. Literarisch kann man dies gut oder schlecht umsetzen, keine Frage.

Der Blick ins Ausland, zum Beispiel nach England ,zeigt, dass es dort natürlich auch viel Mainstream gibt. Aber er zeigt auch, dass die Ränder der kriminellen Unterhaltungswelt besser sortiert und bedient werden. Es ist nicht die Frage, ob es Hardboiled-Autoren im deutschsprachigen Raum gibt, es ist die Frage, ob sie – wie eine Elizabeth George oder ein Dan Brown – auch wahrgenommen werden.

Die weitere Frage: Wieviel Realismus verträgt der Krimi? Sind schöne Lügen besser als harte Polit-Gesellschafts-Sozio-Kritische Krimis? Kriminalliteratur als Abbild der Verrohung unserer Sitten? Anne Chaplet hat es kürzlich in der „Welt“ so formuliert:

„Aber muß denn ein Kriminalroman überhaupt realistisch sein? Wie oft wohl haben Menschen den perfekten Mord geplant und erfolgreich ausgeführt – und wie oft im Vergleich haben Schriftsteller ihn erfunden? Die Attraktivität des Krimis in Worten, Bildern und Ton liegt nicht in seiner Wirklichkeitstreue, sofern damit die Statistik gemeint ist. Eine Mordrate, wie sie Mankell einem kleinen schwedischen Örtchen namens Ystad angedichtet hat, gibt es gottlob nirgendwo auf der Welt. Ein Kriminalroman führt uns, wenn es gut geht, Wirklichkeit auf ganz andere Weise vor Augen: er ist eine um ein Gewaltverbrechen kreisende Versuchsanordnung, in der Menschen unter Druck zeigen müssen, was und wer sie sind. Der Krimi kreist um das Beste und die Bestie im Menschen. „
Anne Chaplet

Es geht also, folgt man Anne Chaplet weiter, um das „Warum?“. Warum bringen Menschen einander um? Die Variationen darüber sind vielfältig und auch hier sind Autoren und Autorinnen nicht vor Klischees und Postkartenidyllen gefeit. Vordergründig ein Gesellschaftsroman, wie Chaplet ihn einfordert, liefern doch viele Kriminalromane – siehe Elizabeth George – nichts anderes als schöne Lügen. Das lieben Leser und Leserinnen, Reflexionen zur Gegenwart gibt es am Rande, sind Begleitinstrumente für ein Orchester, das auf Dissonanzen weitgehend verzichtet, damit die schöne Melodie nicht kaputt geht. Beim Lesen bleibt die Idee der Fiktion, die Rückzugsmöglichkeiten bietet. Es ist das „Es-könnte-passieren-aber-zum-Glück-gehts-mir-gut“, der angenehme Schauer, der auch harte Themen lesbar macht und aufweicht – ohne Konsequenzen, ohne Kater, ohne Blues. Aufklärung und der Schmerz der Erkenntnis – als solches kann man Kriminalliteratur auch sehen – bleibt außen vor. Ich denke, ein Kennzeichen guter Kriminalliteratur ist nicht, dass sie vom Kopf her das Elend der Welt, die Dramen des Alltags sichtbar macht – sie muss sie fühlbar machen, unter die Haut bringen, die großen, kleinen menschlichen Tragödien spürbar werden lassen. Auf eine ehrliche Weise und nicht verlogen. Wenn ein Autor oder eine Autorin deshalb den Drang verspürt, er oder sie „müsse“ schreiben, kann das ein guter Ansatz sein.

Real Crime

Schlechter Start in die Woche: Kaum in der Fernsehfabrik angekommen, die Nachricht, dass am Wochenende ungebetene Gäste eingestiegen sind. Laptops und mehr sind futsch. Ansonsten stapelt sich die Arbeit, nur noch ein paar Tage und dann heißt es Endrunde Heide vs. Harry.