Krimirezensionen für Blogs: Textarbeit 1

vom Krimiblogger

Diesen brutalen Angriff habe ich erwartet: Seine ehrwürdige Dreifaltigkeit dpr (Krimiautor, Krimikritiker und Krimiblogger) unterstellt mir, → ich würde meine Leser einschläfern. Wasser predigen, aber selber Wein trinken. Ha! Wie heißt sein Erstling gleich noch mal? „Menschenfreunde“ – davon kann bei ihm keine Rede sein. Nein, meine Lieben, der wahre Krimi- und Menschenfreund sitzt hier und leistet Grundlagenarbeit. Dazu ist so einer wie der, der sich seit kurzem ja zu den Edelfedern des kriminalistischen Kritikgewerbes zählt, natürlich nicht bereit. Hier bei krimiblog.de wird noch echte Lese- und Textarbeit geleistet. Ein manchmal trockener Boden, der beackert werden muss, um saftige Früchte zu ernten. Dort hingegen wird über nicht belegte Fakten (1.859 Bände über Postkolonialismus – völlig irreführend, diese Ausage) schwadroniert, dass man vor lauter Nebel, der geworfen wird, die Kernaussagen übersieht.

Natürlich haben auch wir von krimiblog.de kritisch auf die Arbeit der so genannten Profis geschaut – schon hier merken Sie den Unterschied. Ob → Herr → Mensing wirklich Profi oder → Blogger ist, wird von seiner Dreifaltigkeit nie in Frage gestellt. Schon hier fehlt die kritische Grundhaltung des Schreiberlings aus dem Saarland. Wir hingegen haben uns dem Vergleich zweier Rezensionen gewidmet, die gestern der → Alligator für uns entdeckt hat. Objekt der kritischen Betrachtung unserer harten Textarbeit (ja, die ist durchaus trocken und darf sie auch sein) ist der Debütroman „Grabesgrün“ (engl.: „In the Wood“) von → Tana French. Die etwas kürzere Rezension stammt von Ingeborg Sperl und ist am 11. Juli in der österreichischen Zeitung → „Der Standard“ erschienen. Formal etwas ausführlicher ist die Besprechung von Tamara Tischendorf bei → „NDR Kultur“, die als Radiorezension verfasst wurde und das dazugehörige Hörbuch in die Besprechung mit einbezieht.

Von Regeln und Klassikern

Schauen wir zunächst in Österreich bei Frau Sperl vorbei. Viel Raum lässt man der Rezensentin nicht, weshalb sie auch gleich in die Vollen geht. Schon der erste Satz ist eine Wertung. „Eine Debütantin schreibt einen originellen, mehr als 600 Seiten starken Krimi ohne Durchhänger“. „Originell“ und „ohne Durchhänger“ sei also der Roman – und natürlich warten wir als Leser der Rezension nun auf eine Begründung, warum denn „Grabesgrün“ dieses Urteil rechtfertigt. Wir müssen nicht lange warten, denn Sperl liefert die Begründung für ihr Urteil in den nächsten beiden Sätzen.

„Das Kunststück ist der in Dublin lebenden Autorin Tana French gelungen. Sie entwickelt eine klassische Krimihandlung – Mord am Beginn, dann die Mühen der Aufklärung –, aber sie löst nicht alles restlos auf, Geheimnisse bleiben – vor allem die des Ich-Erzählers und Ermittlers.“

Als versierter Krimileser erkennt man, dass die Rezensentin die Originalität in der Abweichung von der klassischen Krimihandlung sieht. Zwar beginnt die Autorin klassisch, löst aber nicht alles auf – das versteht die Rezensentin offenbar unter „originell“. Um dies zu erkennen setzt sie bei ihren Lesern voraus, dass sie unter einer „klassischen Krimihandlung“ Mord und vollständige Aufklärung verstehen oder zumindest wissen, was eine „klassische Krimihandlung“ ist. Eine Prämisse, über die man durchaus diskutieren kann, was über die eigentliche Rezension hinausweist. Das ist ein klarer Pluspunkt für die Rezension. Sie ist nicht „autistisch“, sondern liefert zugleich einen Ansatzpunkt für Diskussionen.

Im Mittelteil folgt eine kurze Nacherzählung der Handlung des Romans. Die wichtigsten Figuren werden benannt. Schon mit dem Satz „French entwickelt komplizierte Charaktere, sie legt subtile Spuren, die scheinbar im Sand verlaufen.“ setzt Sperl dann ihre Wertung fort und vermischt sie mit der Wiedergabe des Plots („komplizierte Charaktere“, „subtile Spuren, die scheinbar im Sand verlaufen“.), benennt das „Leitthema“ des Romans um dann nach weiteren Sätzen zur Handlung ihre abschließende Wertung zu finden: „Eine gute Story, ein eigener Stil – erfreulich: Fortsetzung in Aussicht!“

Hier patzt die Rezensentin bei einem heiklen Punkt. Das die Story „gut“ sei, mag man ihr abnehmen, schließlich beschäftigt sie sich etwas länger mit der Nacherzählung der Handlung. Wie sie jedoch auf das Urteil „eigener Stil“ kommt, erklärt sie nicht. Woran erkennt sie den „eigenen Stil“ der Autorin? Die Antwort auf diese Frage bleibt Sperl uns schuldig. Das ist ein klarer Minuspunkt dieser Rezension.

Falsche Fährten

Schauen wir uns nun die Besprechung von Tamara Tischendorf an, die für das Radio geschrieben wurde. Ein Text also, der eigentlich gesprochen wird, liegt hier nur schriftlich vor. Die Rezensentin ist dafür nicht verantwortlich, dafür der Redakteur beim NDR, der es versäumt hat neben dem Manuskript der Rezension auch den Audio-Beitrag online zu stellen. Das wäre sinnvoll gewesen. Auf den ersten Blick sind dies Formalien, sie können aber mit darüber entscheiden, ob eine Rezension eher positiv oder eher negativ auffällt. Schauen wir auf den Inhalt: Die ersten beiden Sätze verraten erste Details aus dem Roman: Er spielt im Sommer, in einer Siedlung am Waldrand im oft verregneten, grünen, ruinenübersäten Irland. Kann ein Land mit Ruinen „übersät“ sein? Kann man Ruinen säen?

Was in den folgenden sieben Absätzen folgt ist fast ausschließlich die Nacherzählung der Geschichte, angereichert mit Zitaten aus dem Buch – in der Hörfassung vermutlich mit Auszügen aus dem Hörbuch. Hier wird der nacherzählten Story viel zu viel Raum gegeben. Erst im vorletzten Absatz erfolgt eine erste Wertung:

„Ganz den Regeln des Genres folgend, legt Tana French zahlreiche Fährten, die meist ins Leere laufen.“ – Ist das wirklich so? Sollen laut den „Regeln des Genres“ zahlreiche Fährten „ins Leere laufen“? Hier fragen wir uns – ähnlich wie bei der Besprechung von Ingeborg Sperl und der „klassischen Krimihandlung“ – was diese „Regen des Genres“ sind? Während Tischendorf von „Regeln“ spricht, schreibt Sperl überlegter von einer „klassischen Krimihandlung“. Hier wird deutlich, dass Sperl reflektierter, umsichtiger und kenntnisreicher mit Kriminalliteratur umgeht als ihre Kollegin Tischendorf.

Schließlich könnte man Tischendorfs Satz auch negativ auslegen: Die Autorin schafft es nicht, ihre Fährten (= Erzählstränge) einen sinnvollen Abschluss und einen Zusammenhang zu geben. Die Rezensentin ist hier nicht eindeutig.

Das eigentliche Urteil findet sich dann im letzten Absatz. Der beginnt gleich mit einem Satz, der keinen Bezug zu dem bisherigen Text hat. Sie behauptet, dass die Autorin ein „Zeitbild Irlands“ geschrieben habe, das sich in den letzten Dekaden rasant gewandelt habe. Wenn dies ein Zeitbild Irlands ist, warum erfahren wir in der nacherzählten Story davon nichts? Ist das überhaupt für die Beurteilung wichtig? Oder ist es eine Nebensächlichkeit, in einem Nebensatz? Anschließend behauptet die Rezensentin, die Autorin habe einen „poetisch-ambitionierte(n)“ Stil, der den Lesefluss hemmt. Auch hier wieder kein Bezug zum bisherigen Text und keine Erläuterung, was ein „poetisch-ambitionierter“ Stil ist. Selbst im letzten Satz schafft es die Rezensentin nicht, einen Bezug zu ihrem bisherigen Text zu finden.

Davon abgesehen aber löst Tana French ihren eigenen Anspruch ein: Sie entfaltet eine doppelbödige Wirklichkeit, in der die Wahrheit nie so einfach ist, wie es scheint und die Suche nach Antworten nicht immer ein glückliches Ende nimmt.“

Aus heiterem Himmel taucht hier der angebliche „Anspruch“ der Autorin auf – warum hat den die Rezensentin nicht schon früher darauf hingewiesen und woraus leitet sie diesen ab? Die Rezension endet letztlich mit einer Plattitüde.

Fazit: Das Beobachten des Textes ist wichtig. Beide Rezensentinnen habe dies getan. Doch während Sperl ihre Beobachtungen in eine sinnvolle Beziehung zu ihrem Urteil stellt, gibt Tischendorf ihren Beobachtungen viel zu viel Raum und versteht es nicht, diese in einen Zusammenhang zu ihrem Urteil zu bringen.