Dichtung und Wahrheit – Folge 4365

vom Krimiblogger

Interessante Einlassungen zum Thema Realität und Fiktion finden sich in dem Artikel → „Wer rettet die Fiktion vor der Wirklichkeit?“ von Hendrik Werner bei „Welt Online“. Werner beschäftigt sich dort mit der Diskussion um die zwei aktuellen „Tatort“-Folgen → „Wem Ehre gebührt“ vom 23. Dezember 2007 und → „Der Kormorankrieg“ vom 6. Januar 2008. Beide riefen Proteste hervor: „Wem Ehre gebührt“ stieß bei Mitgliedern der alevitische Glaubensgemeinschaft auf Empörung und Ablehnung, „Der Kormorankrieg“ rief den Landesfischereiverband Baden auf den Plan. Werner schreibt nun in seinem Artikel:

„So wie die noch unerfahrenen TV-Konsumenten in den Fünfzigern mehr für bare Münze nahmen, als die Polizei hätte erlauben dürfen, frönen derzeit erschreckend viele Krimizuschauer offenbar einer vorplatonischen Rezeptionshaltung, die noch nichts vom Höhlengleichnis weiß. Einer Haltung, die nicht zu unterscheiden vermag zwischen Gegenstand und Schatten, Sein und Schein, Realität und Konstruktion, Fakten und Fiktion, Bild und Abbild, Wahrheit und Dichtung.“

Und etwas weiter unten heißt es:

„Damit bestätigt der Disput um die beiden inkriminierten „Tatort“-Folgen einen durchaus positiven Befund: dass der Krimi, sei es der literarische oder der verfilmte, eine der letzten popkulturellen Bastionen ist, in denen deutsche Wirklichkeit glaubhaft dargestellt werden kann. So leistet ein guter Thriller, wenn er denn hinreichend mit fiktionalisierten Fakten nahe einer vorstellbaren Realität unterfüttert wird, all das, was sonst nur eine ambitionierte Sozialreportage leisten kann: deutsche Zeitläufte abzubilden. Dass schlichter gestrickte „Tatort“-Zuschauer die der Fantasie von (Drehbuch-)Autor und Regisseur entsprungene Zwitterform zwischen Fakten und Fiktion, „faction“, nicht zu erkennen vermögen, darf man nicht dem Format zum Vorwurf machen, sondern muss es einem unreifen Mediennutzungsverhalten zuschreiben.“

Wer Diskussionen in Internetforen zum Kriminalroman in den letzten Jahren verfolgt hat, kann die Formulierung der „schlichter gestrickten“ „Tatort“-Zuschauer durchaus auch auf so manche Leser übertragen. Erschreckend allerdings auch, dass sich zum Beispiel die Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren „Das Syndikat“, in dem ja auch Drehbuchautoren vertreten sind, bislang noch nicht öffentlich zu den Vorgängen geäußert hat. Ich gebe zu, eine vielleicht naive Erwartung von mir.